Auckland – fast 600 km
Mangawhai
Der längste Tag bis jetzt war absolut machbar. Pausetage machen tatsächlich einen massiven Unterschied, wenn es um die Performance danach geht. Anangs liefen wir einige Kilometer am Strand entlang, dann eine Weile an einer Straße bis nach Waipu, wo es kostenfreien Kaffee gab (danke Café Velo), und dann ging es auch schon bald hoch in die Berge. Teilweise war es wirklich steil, doch dafür wurde ich mit atemberaubenden Aussichten nach Whangarei Heads belohnt.
Den Abend haben wir dann bei einigen Bierchen mit anderen TA Walkern ausklingen lassen. Meine linke Ferse hat sich eine Stelle zugelegt, die komisch zusammengedrückt ist und sich dadurch erlaubt etwas zu schmerzen. Wir werden mal sehen, was sich daraus entwickelt.
Pakiri
Wir hatten einen herrlichen sommerlichen Tag um ein paar Kilometer am Strand hinter uns zu bringen. Das Wetter war prächtig und die Füße haben gut mitgemacht. Irgendwie haben sich die schlanken 15 Kilometer am Strand entlang in die Länge gezogen. Die Flut war gegen Ende an ihrem Maximum. Es gab auf der Strecke zwei Flussmündungen zu überqueren. Durch das aufsteigende Wasser wurden meine beiden Hübschen ordentlich mit Wasser benetzt. Bei Wind und Sonne aber nicht weiter schlimm, da hier allem beim Trocknen zugeschaut werden kann. Nicht, dass ich das aktiv zu meinen Hobbies hinzufügen würde, da ist mir doch Gras beim Wachsen zuzuschauen lieber. Wegen des steigenden Wassers musste man andauernd weit oben im weichen Sand laufen, was sehr auf die Ausdauer geht und die Knochen auf Dauer schmerzen lässt.
Eine leidliche Erinnerung bei jedem Schritt, wie viel denn noch zu laufen ist. Ich war ferig und wollte nur noch, dass es endet. Am liebsten ist mir leicht feuchter Sand, bei dem man nicht so sehr einsinkt. Ich habe angefangen, den Übergangsmanager auf Audible zu hören, eine moderne Interpretation des Gevatter-Tod, mit iPad und ebenso modernen Problemen. Eine genial lustige Idee mit vielen Denkanreizen für mein eigenes Leben. Mich hat es besonders zum Grübeln gebracht, ob ich denn die richtigen Schritte mache (Pun intended), wie ich mein Leben erfüllend gestalte und warum es mir so verdamt schwer fällt, Beziehungen zu führen. Sicher eine Kombination der richtigen Trigger und der Erschöpfung.
Dome Walkway
Wo am Tag zuvor der flache Strand unendlich erschien, haben mich an dem Tag schlammige Pisten auf die Spitze getrieben (und auch wieder herunter). Meine Konzentration hat durch das ewige Starren auf den Boden, um ja keine Wurzel oder schlüpfrige Stelle zu übersehen, die gerne bereit waren, mich zum Stolpern zu bringen oder mich zu Boden rutschen zu lassen.
Mein inadäquates Schuhwerk hat natürlich auch nicht gerade zur Erleichterung beigetragen. Knöcheltief im Matsch, ohne Wanderstöcke und mit Laufschuhen, erkauft man sich eigentlich einen Garantieschein mal so richtig abzusegeln. Ich hatte, von zu Hause, nicht damit gerechnet, dass es hier auf der Nordinsel so bergig ist. Und erst recht nicht mit so viel Schlamm, der den Boden versiegelt. Neues Equipment ist noch für ein paar Tage nicht in Reichweite.
Endlose Strapazen
Vorhergesagt wurden uns 11 Stunden für die 27 Kilometer bis zum vorgesehenen Camp, ein Garten hinter einem permanent geschlossenen Café, 27 km, für die ich normalerweise die Hälfte der Zeit veranschlagen würde (exklusive Pausen). Zehn Studen habe ich dann effektiv gebraucht, unter Wetterbedingungen, die ich schon fast als angenehm bezeichnen würde, leichter Niesel, eine Briese, geschützt im Wald, die Sichtweite unter 10 Meter. Allerdings schützt der Wald nicht nur mich vor dem Wetter, sondern auch den Boden vor der Sonne. Das warme Element zum Trocknen des Selbigen.
So ereilte uns eine uns vorher unbekannte Rutschbahn, glatt wie eine Plastikplane mit Seifenwasser. Das Einzige, das mich vor dem sicheren Absturz schützt, ist der gelegentliche Pfosten, der den Stacheldraht in der Schwebe hält. Jeder Schritt wird mit Bedacht gesetzt. Selbst dann, wenn der Boden trocken ist, aber stattdessen übersäht mit Wurzeln, die einem gerne zum Sturz verhelfen wollen. Dabei wird es schnell zu einem neuen Hobby, den Untergrund zu bestarren, wie ein Spanner in ein offenes Badezimmerfenster. Voll konzentriert auf das, was man zu Gesicht bekommt.
Wie sehr mir doch die endlosen Straßenabschnitte gefehlt haben. Wie sehr ich doch nach dem Strand und seiner endlosen Monotonie auf den Trails im Wald gefleht haben, so gerne schauen wir doch bei unseren alten Freunden vorbei, wenn unsere Füße nach festem Untergrund lechzen und und zur Abwechslung mal mach berechenbarem Boden flehen. Nichts kann man mir recht machen, habe ich das Eine, kann ich es gar nicht erwarten, das Andere zurückzuhaben.
Puhoi
Was bedeutet “lange”? Ist das Wetter gut, scheint “lange”für mich schnell zu vergehen. Was bedeutet “weit”? Ist die Unterhaltung gut, scheint “weit” recht kurz zu sein. Was bedeutet “fern”? Ist der Untergrund fest, wird aus einem entfernten Ziel schnell Nähe. Stimmen die Fakten mal nicht, bleibt einem der Wille und das Gewissen, das die Ankunft und der Rückblick auf die Strapazen doch umso süßer sind. Wie oft bringen gerade die schwierigen Phasen den gewissen Pfeffer ins Leben, dass doch sonst auch mal so gähnend monoton erscheinen kann.
Irgendwie mag ich das Gefühl, dass doch das Ziel manchmal so elendig entfernt erscheint, doch gleichzeitig die Gewissheit zu haben, sich bald wieder auf die nächsten Schritte am folgenden Morgen freuen zu können. Alles ist doch irgendwie relativ, nicht nur der Moment, sondern vor allem die Gefühle, die mit dem Moment verknüpft sind.
Immer wieder fällt mir auf, dass meine Herangehensweise, wenig im Voraus zu planen, gar nicht so schlecht ist. Wie genau soll man denn wissen, wie es denn vor Ort letztendlich ist, wenn man doch eine halbe Welt entfernt ist. Schritt für Schritt lerne ich Neues über mich selbst, meine Fähigkeiten und mein Equipment, von dem ich mir von zu Hause kein ordentliches Bild hätte bilden können. Was ist denn ein leichter Rucksack, ohne eine Referenz zu haben? Welches ist das passende Zelt, das einem den besten Komfort bei gleichzeitig niedrigem Gewicht bietet? Wie viel kann ich mir denn an einem Tag zutrauen? Selbst die Etappenplanung mache ich kaum mehr als drei Tage im Voraus. In der Regel am Abend zuvor oder am selben Tag bei Gesprächen mit Mitläufern. Die Trailnotes lese ich weiterhin nicht.
Silverdale
Der frühe Vogel lässt sich im Kajak den Fluss hinab treiben, vorbei an einer Vielzahl von Mangroven, die die Räder säumen. Das frühe Licht scheint über die Hügel und erleuchtet uns die nebel bedeckten Körper aus Wasser. Kilometerweit treiben wir mit unseren bislang ungenutzten Muskeln dem Ausstieg am Ozean entgegen. Um uns herum erwacht nach und nach die Vogelwelt zum Leben und erfreut uns mit seinem Gesang.
Der Rückblick auf einen vergangenen Tag kommt einem manchmal so vor wie eine Folge Breaking Bad. Den ganzen Tag hat man den Eindruck, es ist eigentlich nicht viel passiert und doch offenbart ein Blick zurück einen Wasserfall an Ereignissen.
Wir sind Klippen entlang, die durch die Ebbe freigegeben werden und schon ein paar Stunden später unpassierbar werden. Nicht nur der Weg, sondern besonders die Einnahme neuer Perspektiven einzunehmen, Blicke über das Meer, hin zu fernen Ufern am anderen Ende des Strandes und zu entfernten Inseln.
Bekanntes, da von mir schon einmal besuchtes Land mündet für uns in einen Schock aus Zivilisation und einem weiten Meer aus Speisen, das unserer ansonsten simplen Ernährung auf dem Trail und kleinen Ortschaften verschlossen bleibt. Man beschränkt sich doch sonst auf das Essenzielle, energiereich und doch leicht, der Geschmack und die Gesundheit bleiben da eher die Kür oder der Schmerz, den man durch einen schweren Rucksack in Kauf nimmt.
Später bewaffnen wir uns noch mit neuem Schuhwerk, da das Alte den widrigen Gegebenheiten nicht standgehalten hat, und mit ein paar Gastgeschenken, Bier und Schokolade, für Connor und meine Gastgeber für die Nacht, eine liebevolle Familie, die aus Südafrika stammt, und schon vor vielen Jahren nach Aotearoa (der Maori name für Neuseeland). Camilla und James helfen gerne und mögen es, ein paar offene Gespräche mit den Wanderern zu führen.
Der Austausch mit ihnen ist eine wahre Freude. Wir haben zusammen den Abend verbracht, gekocht, das Fabrizierte verspeist und noch ein wenig in der Hängematte verbracht. Dabei wurden die verschiedensten politischen Themen diskutiert und besonders von Connor und James aufs Detail analysiert. Zum Abschluss gab es noch einen von Feuerwerk erleuchteten Himmel, zum Gedenken an Guy Fawkes und das von ihm angezündete Parlament in London.
Energie (oder deren Absenz)
Zu Besuch bei unseren Freunden ist mir aufgefallen, wie sehr ich es doch bevorzuge, in kleineren Gruppen oder mit einzelnen Personen Zeit zu verbringen. Es raubt mir scheinbar Energie wenn ich in großen Gruppen bin, die Gespräche lauter werden und in die Breite gehen, als in die Tiefe, nicht der Smalltalk, ein gemeinsamer Nenner, an dem sich alle in einer großen Gruppe wiederfinden können. Ich mag die Gespräche, in die man eintaucht, wenn ich mal mit einzelnen oder zwei Wanderern laufe. Der Austausch ist irgendwie persönlicher, näher. Abends treffen sich oft so viele Wanderer, dass ich mich, erschöpft vom Tag, lieber zurückziehe. Die Strapazen vom Tag schlauchen mich manchmal schon so sehr, dass mir keine Energie mehr zum Socializen bleibt. Ich vermute mal, dass das meine “introvertierte” Seite ist, die aus sozialen Kontakten, die ich ja generell sehr mag, keine Energie ziehe, sondern ich auch immer Zeit für mich brauche, um meine Batterien wieder aufzuladen.
Erinnerungen
Es ist schon spannend, wie man sich manchmal plötzlich an etwas erinnern kann, das schon viele Jahre, in diesem Fall sicher 30, zurück liegt und manchmal fällt es einem schwer sich daran zu erinnern, was vergangene Woche stattgefunden hat oder was man am Tag zuvor gegessen hat. Wahrscheinlich sind es einfach unterschiedliche Ablageorte im Gehirn. Die aus ferner Vergangenheit werden durch Eindrücke aus der Gegenwart getriggert, ein Geräusch, ein Geruch, oder, wie in meinem Fall, eine Passage in dem Buch, welches ich gerade lese ( Sterben von Kanusgard). Er schreibt über seine Kindheit.
Bei mir kommt dabei eine Episode auf als ich noch in der Grundschule war, bei der ich heimlich länger ferngesehen habe als es mir meine Eltern erlaubt haben. Sie waren öfter mal am Wochenende aus zum tanzen. Eine Chance, die ich mir nicht entgehen lassen habe, mir Actionfilme anzuschauen, die ich eigentlich noch nicht sehen durfte, irgendetwas mit Karate oder Monstern. Danach, wenn der Fernseher aus war und ich mich im Dunkeln in mein Zimmer geschlichen habe, hatte ich mich gefühlt wie der Held in dem Film. Ich habe umher gefuchtelt und gegen imaginäre Gegner gekämpft. Ich habe mich großartig gefühlt, voller Energie, eben wie ein richtiger Held. Ich wäre froh, wenn ich diese kunderbunte Art des Vorstellungsvermögens immer noch hätte. Irgendwie scheint man das als Erwachsener nicht mehr zu dürfen/können. Es scheint mir doch so, dass man nicht erzogen, sondern einem etwas aberzogen wird. Warum ist das so? Welchem Zweck dient denn diese Abstumpfung, diese Konformisierung?
Meinen Job zu kündigen und nicht zu wissen, was ich später mal werden will, gefällt mir aus diesem Grund besonders. Ich fühle mich ein wenig wie ein Rebell im Establishment. Ich mache nicht das, was ich immer glaubte, was ein erwachsener Mensch tun sollte. Ich mache den imaginären Fernseher aus, gehe raus und spiele Held, ganz so wie früher, als ich mich auch nicht an die Regeln gehalten habe.
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