Von Stadt zu Stadt
Aus der Stadt heraus zu laufen war doch etwas angenehmer, als die meisten von uns erwartet hatten. Zumindest was die Strecke bis zum Flughafen angeht. Viele der anderen Wanderer um mich herum haben es bevorzugt, mit den Öffentlichen raus zu fahren und dann wieder auf dem Trail weiter zu wandern, wo es etwas schöner ist. Wenn man die Wege durch Wohngebiete als nicht schön einstuft. Ein weiteres Argument wäre das Fehlen von Möglichkeiten in der Stadt zu Campen. Ich fand es nicht sonderlich schwer. Man kann einfach fragen, ob man sein Zelt bei jemandem im Garten aufstellen kann.

Ich hatte all die Warnungen ignoriert und wurde mit einem Naturschutzgebiet entlang der Küste und dem Botanischen Garten belohnt. Untergekommen bin ich auf dem Grundstück einer älteren Dame, direkt neben einem Teich, voll mit Enten und Gänsen. Zur Erfrischung nach den Strapazen vom Tag habe ich mich mit einem Sprung in den Teich belohnt.



Mittagspause
Mount Williams
Auf meinem Weg aus der Stadt bin ich sicherlich durch die meisten Parks in Auckland gewandert, vorbei an idyllischen und weniger idyllischen Wohngebieten, entlang einer endlos scheinenden Straße, einem Café mit leckerem Frühstück und Kaffee.

Ich lese, während ich mir Flat White und meine Eier schmecken lasse. Ein Flat White ist eine weitere Kaffee- Milch-Kombination, die die Kiwis erfunden haben, im Gegensatz zu einem Cappuccino machen sie auf den Flat White keinen Kakao obendrauf, so wie er mir besser schmeckt.

Der viele Beton und der Asphalt lässt die Füße schmerzen. Ich mache daher ausreichend Pausen, ziehe meine Schuhe aus und lasse meine Socken trocknen. Eine Weile gehe ich mit Angus, scheinbar dem einzigen anderen Wanderer aus meiner Gruppe, der es auch gewagt hat, die Stadt zu Fuß zu verlassen. Im Nachhinein hat sich herausgestellt, dass es durchaus noch ein paar andere gab, sie sind mir nur nicht vor die Nase gekommen.
Nach einer Weile habe ich mir einen schönen Platz zur Mittagspause gesucht, mit einem Tisch und ein paar anderen Leuten, offensichtlich Arbeiter, die dort ihre Mittagspause verbringen, eine Dame, die sich erstmal in ihrem Van einen Kopf zieht und dann einen Zweiten, bis sie letztendlich alle wieder ihrem eigenen Alltag nach gehen.
Ich breite mein von der Kondensation feuchtes Zelt aus, um es von der Sonne trocknen zu lassen. Ich esse. Es gibt Wraps mit Paprika, Grünkohl und Brie. Eine hervorragende Kombination.

Meine beiden Apps zeigen unterschiedliche Routen für den nächsten Abschnitt an. Ich folge der offiziellen Te Araroa App. Es ereilt mir Glück im Unglück, wie sich herausstellt. Die Straße, der ich schon ein paar Kilometer gefolgt bin, ist gesperrt. Es gibt kein Drumherumkommen, nicht einmal für Fußgänger, wird mir von einem Bauarbeiter mitgeteilt. Der Bauarbeiter fährt die Strecke regelmäßig ab, um Wanderer einzusammeln, die alle Warnungen, so wie ich, ignoriert haben und die Sackgasse hinuntertrotten. Ich lade meinen Rucksack in seinen Pickup, steige ein und lasse mir die komplette Baustelle zeigen. Danach fährt er mich auf die andere Seite, sicher einige Kilometer. So freundlich ist in Deutschland keiner. Hier passiert es mir jeden Tag, dass jemand ungefragt seine Hilfe anbietet. Es scheint mir ein Teil ihrer Kultur zu sein. Eine Art, die vielleicht etwas mit der geringen Population zu tun hat. Ein Land, in dem jeder etwas näher zusammenzurücken scheint, obwohl mehr als genug Platz ist.

Später am Tag frage ich jemanden nach Wasser. Er lässt mich meine Gefäße füllen. Ich laufe eine Weile weiter aus dem Ort namens Bombay raus und hinauf auf Mount Williams, um mir dort einen Schlafplatz für die Nacht zu suchen. Ich werde neben einer Weide auf einer kleinen Fläche Wald fündig. Es gesellen sich noch zwei weitere Deutsche hinzu, die ich zuvor noch nicht getroffen hatte. Wir tauschen Geschichten und Essen. Richtiges Wild-Campen, wo man sich untereinander aushilft. Ich ziehe mich zum Schreiben dieser Zeilen und Lesen in meinen Palast zurück. Wie schön es doch in dem neuen Zelt und den dadurch neu gewonnen Platz ist.
Der Tag war lang aber gut. Ich bin zufrieden.
Zivilisation
Ich kann mich selbst riechen, so wie man riecht, wenn man ein paar Tage im Busch verbracht hat. Ein Geruch, der mir, wenn ich alleine bin, überhaupt nicht wahrzunehmen scheine. Doch hier bin ich nun, in mitten gewaschener und parfürmierter Menschen, zivilisierte Menschen, die alle einem Alltag nach gehen, der es nicht gestattet, so auszusehen wie ich.
Zeitig bin ich von einem Drücken auf meiner Blase geweckt worden, noch nicht einmal 5 Uhr, nach weniger als 10 Stunden Schlaf. Generell genügend Zeit mich zu entleeren und mich erneut umzudrehen. Das Erstere unterdrücke ich , da ich Angst vor der Horde Mücken habe, die sich zwischen meinem schützenden Innenzelt und der Plane tümmeln. Ich weiß, sie können mein Blut bereits riechen. Sie scharren schon mit den Hufen, können es kaum erwarten, bis der Vorhang endlich fällt. Doch ich bin klüger, ich harre aus, bis die ersten Strahlen Sonne sie in den Schlaf wiegen. Endlich ist der Zeitpunkt für mich gekommen auszubrechen und die Übeltäter abzuschütteln. Mein Plan geht auf. Ein früher Start gibt mir zudem die Aussicht auf ein frühes Frühstück in der Zivilisation, in einem Dorf 12 Kilometer entfernt. Dort muss ich wie ein Abtrünniger erscheinen und auf eine gewisse Weise auch sein.
Ich bin der einzige, der sein Zelt und seine Socken auf der Veranda des Cafés zum Trocknen aufhängt. Ich bin der einzige, der sich seit Tagen nicht mehr gewaschen hat. Ich bin der einzige Vagabunt in einer Runde ansonsten geschniegelter Individuen.

Komische Ansichten
Ich hatte das zweite Mal innerhalb weniger Tage das Vergnügen mit jemandem zu sprechen, die eine recht starke Meinung über die verschiedensten Dinge zum Ausdruck zu bringen müssen. Eine der Damen trug ein T-Shirt mit der Aufschrift “100 % Human DNA”. Bevor sie mich angesprochen hatte, dachte ich mir, wie wenig Wahrheit in der Aussage steckt, bei der Menge an Bakterien, die in und auf unseren Körpern leben. Es hat nicht lange gedauert, bis sie mir in aller Breite erläuterte, wie Pfizer versucht, mit ihren Impfstoffen unsere DNA zu manipulieren, Yuval Noah Harari der Teufel ist, weil er sich öffentlich für das Impfen ausspricht und die Briten Nord Stream in die Luft gejagt haben. Wenig, zu dem ich irgendetwas Sinnvolles hätte beitragen können, geschweige denn, dass sie mich meines Beitrages gewürdigt hätte.

Was mich dabei am meisten irritiert hat, war das Kreuz, das ihr um den Hals hing. Ich war immer der Meinung, dass sich das Konzept von DNA und Kreationismus gegenseitig ausschließen. Doch selbst da ist Glaube scheinbar flexibel genug in der Interpretation der Heiligen Schrift.
Schon wieder überwältigt
Nach ca. 30 Kilometern, am Tag vor meinem nächsten Zero und der Aussicht auf eine Grill-Party bei Freunden vom Trail, hatte ich keine große Lust noch weiter 10 km auf hartem Untergrund nach Hamilton rein zu laufen.
Da ein Bus eine Stunde hätte auf sich warten lassen, habe ich es per Anhalter versucht. Nach einer Weile des heraus gestreckten Daumens hat tatsächlich eine junge Dame angehalten und gefragt, wo ich denn hin will. Die Innenstadt wäre für mich optimal gewesen, doch sie fragt mich nach der genauen Adresse meiner Freunde und fährt mich bis direkt vors Loch. Ich kann gar nicht genug betonen wie selbstverständlich es bei den Neuseeländern zu sein scheint, jemandem auszuhelfen, selbst wenn man dafür ein paar extra Kilometer fahren muss. Sie hat nur abgewinkt und meinte, sie hätte ja eh Zeit gehabt.

Bei Bruce und Zeph angekommen werde ich von bestimmt 10 von meinen Freunden begrüßt, die sich alle schon mit ihren Zelten im Garten eingerichtet haben und in der Vorbereitung des BBQs waren. Salate wurden zubereitet, Bierchen gekühlt und Wäsche gewaschen. Für unsere beiden Gastgeber war es eine ware Freude, uns alle einzuladen und bei sich zu Hause willkommen zu heißen. Das Essen ging dabei voll auf ihre Rechnung und Bruce bietet allen einen Fahrservice in die Stadt an, für die die etwas zu erledigen hatten. Zusammen haben wir ausgelassen den Abend verbracht und uns gegenseitig mit Geschichten bei Laune gehalten. Es ist so schön diese tollen Erfahrungen mit all diesen tollen Menschen zu machen.

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