Richmond Ranges -Hart für die Knie
Queen Charlotte Track
Kurz vor Jahresende bin ich mit der Fähre von Wellington auf die Südinsel nach Picton übergesetzt. Ich wurde von der anfangs rauen See ganz schön durchgeschüttelt. Mein Magen ist nicht der robusteste, wenn es um schwankenden Untergrund geht. Zum Glück beruhigte sich das Wüten der Cook Strait bei der Einfahrt in den Queen Charlotte Sund auf ein für mich erträgliches Maß. Ab hier konnte ich den Blick auf die Berge genießen, die wie Finger ins Meer ragten. Tief im Hals des Sundes schlängelten wir uns mit dem mit Autos, Bussen, Zügen und Menschen beladenen Kahn zu unserem Zielhafen.
Dort angekommen, verbrachte ich eine weitere Nacht in einem ziemlich verrückten Hostel. Draußen stürmte es, als ich das Atlantis betrat. Ich fand mich in einem Kuriositätenkabinett wieder, einem Labyrinth aus allerlei bunt dekorierten Räumen, in dem ich eine Weile brauchte, um mich zurechtzufinden. Wie immer ist es interessant, “normale” Reisende zu treffen, abseits der Hardcore-Wanderer. Interessant in dem Sinne, dass es mir schwer fällt, ein normales Gespräch zu führen, das sich nicht um Wandermeter dreht. Meine Welt sind die Trails, deren Hostels und die Straßen, auf denen sie unterwegs sind. Zwei scheinbar völlig unterschiedliche Arten, die Inseln zu entdecken.
Am Morgen nach meiner Ankunft brachte mich eine weitere Fähre nach einem opulenten Mahl, das in einer richtigen Küche zubereitet wurde, ohne auf den Gasverbrauch achten zu müssen, in eineinhalb Stunden zum Beginn des Queen Charlotte Tracks. Ein für Touristen angelegter Weg, den man in vier Tagen gemütlich erwandern kann. Ich habe ihn mir in zwei Tagen zu Gemüte geführt.
Am Kai angekommen, freute ich mich über zwei Gesichter, die ich schon lange nicht mehr gesehen hatte. René hatte auf den letzten 1000 km so viel Pech gehabt, wie es kein Mensch haben sollte. Zuerst hatte er wochenlang Probleme mit seinen Schienbeinen, die ihn zu langen Pausen zwangen, dann machte ihm das schlechte Wetter einen Strich durch die Rechnung und zu guter Letzt verlor er auch noch sein Handy mit all seinen Bildern auf dem Whanganui River. Der arme Kerl tut mir so leid. Trotzdem ist es schön zu sehen, dass er sich nicht unterkriegen lässt. René wirkt von außen etwas rau, ist aber ein herzlicher Mensch, der von Beruf Krankenpfleger ist. Beim Schach besiegt er mich ohne mit der Wimper zu zucken.
In den nächsten zwei Wochen musste ich mich richtig anstrengen, um pünktlich zum vereinbarten Treffpunkt mit Logan zu kommen. Für Silvester hatte ich mir 47 km vorgenommen, um mich mit Noor und Josie zum Jahreswechsel zu treffen. Die beiden waren schon einen Tag früher gestartet. Es war mein bisher längster Tag, zumindest was die zurückgelegte Strecke betrifft. Ich musste mich mit Hörbüchern und schneller Musik ablenken, um den Tag zu überstehen. Die Sebastian Bergmann Serie ist momentan mein Zeitvertreib, ich höre sie mit bis zu eineinhalbfacher Geschwindigkeit. Mit nur einer halben Stunde Mittagspause und zwei kurzen Verschnaufpausen schaffte ich es unter 10 Stunden.
Dort angelangt, wurde ich von einem Empfangskomitee freudig begrüßt. Schnell habe ich mir ein leckeres Jahresabschlussessen aus Reis und Gemüsesuppe gezaubert, bevor wir um 20.15 Uhr zur Wanderer-Mitternacht mit zwei Piccolo-Flaschen Sekt auf das neue Jahr angestoßen haben. Mit vielen und ausgiebigen Pausen kommen einem die langen Strecken plötzlich viel kürzer vor, gehen aber genauso auf die Knochen. Schon am zweiten Tag auf der Südinsel und nach über 80 Kilometern spürte ich ein Ziehen am Ansatz des Wadenmuskels und einen Schmerz am Schienbein, eine Art Sehnenverhärtung. Auch am nächsten Morgen schmerzte beides noch beim Gehen. Der Schmerz ließ aber im Laufe des Tages nach. Dafür kam am Ende des dritten Tages ein Ziehen im Oberschenkel hinzu.
Im Camp angekommen, das direkt an einem Fluss liegt, habe ich mir erst einmal einen erfrischenden Sprung ins kühle Nass gegönnt und die betroffenen Stellen im kühlen Nass massiert, bis der Schmerz weitestgehend verschwunden war. Ein bisschen Stretching tat dann den Rest. Meine Beine fühlten sich von Tag zu Tag besser an.
Havelock
Die Richmonds sind wirklich fantastisch und der bisher abwechslungsreichste Abschnitt des gesamten Trails. Nach Havelock, einem kleinen Touristenort, ging es ein Stück am State Highway entlang und dann auf einer Schotterstraße weiter bis zur Pelorus Bridge, wo wir das letzte Mal zivilisierte Menschen sahen.
Von hier aus ging es am nächsten Tag auf einer Schotterstraße weiter, die in den eigentlichen Gebirgspfad mündete. Wir wanderten entlang des türkisblauen Flusses durch einen Wald, der so angenehm nach Nadelbäumen duftete. Bei unseren Pausen gönnten wir uns einen Sprung ins glasklare Wasser, Freude und Erfrischung zugleich. Leider kann man es sich hier nicht gemütlich machen, sonst wird man von den Sandfliegen bei lebendigem Leib gefressen. Anscheinend brauchen sie Blut, um sich fortpflanzen zu können. Dem versuche ich natürlich mit allen Mitteln entgegenzuwirken. Ein langes Oberteil und eine lange Hose halten sie weitgehend ab. Aber durch meine Socken beißen sie durch. Ich scheine anfälliger für die juckenden Stiche zu sein als die anderen, die es sich draußen gemütlich machen, während ich mich in einer der vielen Hütten entlang des Weges verschanze. Ich bekomme kleine Schwellungen.
Noch in Wellington dachte ich, ich könnte meine Schuhe noch tragen, bis ich Logan treffe und er mir mein neues Paar bringt, aber leider löst sich bei beiden Schuhen die Sohle im Ballenbereich auf. Der Rest der Sohle ist aber noch recht stabil profiliert. Bis zu unserem Treffen habe ich noch 300 km vor mir. Ich hatte schon darüber nachgedacht, die Stelle von innen mit einem Stück Plastik oder ähnlichem zu verstärken. Die Lösung war schließlich, die Sohle meiner Flip Flops auf das richtige Maß zurechtzuschneiden und innen unter meine Innensohle zu kleben.
Zeit
Die Zeit ist auf dem Trail sehr relativ, vor allem was die Wahrnehmung und die Geschwindigkeit der einzelnen Wanderer betrifft. Ich für meinen Teil unterscheide zwischen drei verschiedenen Zeiten, die in sich Variationen zulassen. Erstens die Zeiten, die das DOC (Department of Conservation) vor jedem Trail auf eigens dafür aufgestellten Schildern in gelber Schrift auf grünem Grund angibt. Ich nenne sie lieber Touristenzeiten, weil sie von geübten Wanderern oder Trampern, wie man hier sagt, leicht unterboten oder sogar halbiert werden können. Niemand von uns nimmt sie wirklich ernst. Vielleicht könnte man sich ihnen annähern, indem man auf einem Bein über den Trail hüpft. Innerhalb der DOC-Zeiten gibt es eine gewisse Variation, je nachdem, wer sie gesetzt hat.
Die zweiten Zeiten finden sich in den Hüttenkommentaren der FarOut App. Hier geben andere TA-Wanderer ihre Zeiten mit Kommentaren zum Zustand der Trails und zum Wetter ein. Oft mit Hinweisen, was die Hütten zu bieten haben, wie viele Schlafplätze und Campingmöglichkeiten es gibt, wie die Wasserqualität ist, wie viele Sandfliegen es gibt und wie gut man in den angrenzenden Flüssen oder Seen schwimmen kann. Diese Zeiten sind oft glaubwürdiger. Hier sind Experten am Werk, die oft schon monatelang unterwegs sind oder sogar schon ein anderes Land durchwandert haben.
Die letzte Zeit ist meine eigene. In der Regel schlage ich die beiden anderen Zeiten. Oft mache ich es zu meinem persönlichen Ziel, schneller zu sein. Es fühlt sich gut an, mich zu Höchstleistungen zu treiben, ein Rausch, in dem ich mich voll konzentriere. Ich fokussiere mich genauso auf meine Beine wie auf meine Atmung, jeden Atemzug tief durch die Nase. Auch bei schwierigen Passagen vermeide ich den Mund, wenn das nicht geht, bin ich offensichtlich zu schnell. So reguliere ich mich ein bisschen selbst. So entsteht ein Rhythmus, den ich über viele Stunden halten kann. Ab und zu unterbrochen von Zügen an meiner Wasserblase oder um die Umgebung zu bewundern. Manchmal bekommt man noch einmal eine ganz andere Perspektive auf die gerade zurückgelegte Strecke, wenn man anhält, sich umdreht und noch einmal überlegt, was man gerade hinter sich gelassen hat. Wenn ich eine Stelle besonders schön finde mache ich ein Foto oder stelle sogar mein Stativ auf, um auch mal im Schnappschuss eingefangen zu werden.
Richmond Range
Die Richmonds sind dafür bekannt besonders hart zu sein. Gleich zu Beginn führt uns der Pfad durch dichte Birken- und Tannenwälder. Unser Weg zieht sich immer weiter entlang des türkisblauen Wassers, das uns unaufhaltsam durch das felsige Flussbett entgegenströmt. Das Wasser ist eine Augenweide und eine Gaumenfreude zugleich. Eine Köstlichkeit, die ich mir ungefiltert durch die Kehle rinnen lasse. Hier ist Naturschutzgebiet, frei von Vieh, das mir den Magen verderben könnte. Der gelegentliche Halt an den natürlichen Pools, die sich über Jahrtausende im Fluss gebildet haben, ist eine gute Gelegenheit, mich zu erfrischen und dabei Körper und Kleidung zu säubern, was sonst mangels Duschen in schnell stinkender Begleitung für die anderen enden würde.
Ein besonderes Highlight sind die Pfade, die direkt durch das Flussbett führen, nicht nur um es zu überqueren, sondern vor allem um mitten im Fluss über die Felsen zu gelangen, die das Flussbett eng begrenzen und mich so trockenen Fußes nach oben führen.
Innerhalb von 6 Tagen türmen sich 8000 Höhenmeter vor uns auf, in in beide Richtungen, bergauf und bergab, überwunden werden wollen. Die einzelnen Meter sind nicht gleichmäßig über die 150 km Strecke verteilt, sondern treffen uns immer wieder mit voller Wucht, manchmal mit 1000 m auf 3 km.
Volle Hütte
Unser dritter Tag in den Richmonds war sehr verregnet und hat daher nicht viel zur Sicht auf die umliegenden Bergketten beigetragen. Wir kennen bisher nur Berichte aus dritter Hand, wie schön es dort sein soll. Wir wanderten fast den ganzen Tag in einer Wolke, die keine Sicht weiter als 50 Meter zuließ. Manchmal hatten wir sogar Mühe zu erkennen, wo der nächste Trailmarker oder gar der ganze Trail verschwunden war. Durchnässt vom Dauerregen erlaubten wir uns nur kurze Pausen, um in einer Hütte den Hunger mit einem kleinen Snack, einem Müsliriegel oder einem Wrap zu stillen. Doch die nassen und kalten Klamotten erinnern uns schnell daran, dass es weitergehen muss. In der Bewegung wird einem gleich wieder warm.
Eine Gruppe Wanderer aus Auckland lässt uns wissen, wo sie die Nacht verbringen wollen. Da die Hütten hier nur Platz für maximal sechs Personen bieten, beschlossen wir, eine Hütte früher als geplant aufzusuchen, um weiterem Regen und Bettenknappheit zu entgehen. Ich war an diesem Tag mit einer siebenköpfigen Gruppe unterwegs, die sich in Pelorus Bridge, am Anfang der Richmonds, zusammengefunden hatte. Sogar wir allein überfüllten eine Hütte. Josie und ich waren die Vorhut, eine halbe Stunde vor den anderen.
Wie fast zu erwarten war, war die Hütte nicht ganz leer. Als ich die Tür öffne, blickt mir ein vertrauter, aber lange nicht mehr gesehener Rucksack entgegen. Ich lasse meinen Blick über die Betten schweifen, um meinen Verdacht zu bestätigen. Connor liegt in einer der Kojen. In echter Wiedersehensfreude springt er sofort heraus und begrüßt mich mit einer Umarmung. Schnell zündet er das bereits erloschene Feuer wieder an, um die ohnehin schon warme Begrüßung noch zu verstärken.
Als alle anderen angekommen waren, haben wir die Betten verteilt. Auf dem Boden haben wir mit unseren eigenen Matten weitere Schlafplätze eingerichtet. Wir tauschten uns über unsere gemeinsamen Erlebnisse aus, suchten und hackten neues Feuerholz, um den Ofen am Laufen zu halten, der unsere Kleidung trocknete und uns wärmte. Da der Tag schon gegen 15 Uhr zu Ende war, hatten wir noch viel Zeit, um in der Hängematte zu entspannen und uns mit geistiger Ablenkung zu beschäftigen. Alle füllen ihre Tagebücher und lesen ein paar Zeilen in ihren Büchern. Am Abend vertreiben wir uns noch gemeinsam die Zeit mit einem Ratespiel, bevor wir uns kurz vor der Sonnenfinsternis in die Horizontale begeben.
Der Grund, warum wir Connor und Brandon in Slaty Hut fanden, war, dass sie das schlechte Wetter abwarteten, bevor sie sich an die Überquerung des Mount Rintoul wagten, die ziemlich technisch sein soll. Das Wetter war zwar, wie bereits beschrieben, nicht optimal, aber zumindest war der Wind schwach genug, dass wir uns bei unserem Versuch am nächsten Tag keine Sorgen machen mussten. Wie schon in Tongariro war von der vermeintlichen Gefahr nichts zu sehen. So konnten wir nur erahnen, wo ein Absturz wohl geendet hätte.
Keiner von uns hatte wirklich das Gefühl, dass es ein Ding der Unmöglichkeit war, wenn man sich gut festhielt und vorsichtig Schritt für Schritt voranging. Der Gipfel des Berges lag komplett über der Baumgrenze, weshalb auch der starke Wind die Überquerung erschwerte. Als wir es geschafft hatten, ging es schnell wieder hinunter in den Wald, der uns wieder mit seinen verschiedenen Farben überraschte. Auf dem Weg zu unserer Zielhütte trafen wir wieder auf die Aucklander, die in einer der Hütten zu Mittag aßen. Zwei von uns blieben dort hängen. Gut, denn unsere 5-Mann-Hütte bot gerade genug Platz für den Rest von uns.
Tarn Hut lag an einem kleinen See, der wie aus dem Nichts den Wald lichtete und ein geradezu magisches Licht auf uns scheinen ließ. Der sich öffnende Himmel gab uns Mut für die kommenden Tage, die wir nicht mehr im strömenden Regen verbringen mussten. Einige von uns beschlossen, es etwas ruhiger angehen zu lassen und sich aufzuteilen. Schließlich waren es Connor und ich, die sich die nächsten zwei Tage durch die Red Hills nach St. Arnaud vorkämpften. Zwei lange Tage, die mit jeder Hütte, an der wir vorbeikamen, ein anderes Bild boten.
Zwischen Mid Wairoa und Top Wairoa Hut wanderten wir die ganze Zeit entlang eines Flusses mit sehr schmalen Pfaden und einigen Querungen. Auf den verbrannt aussehenden Bäumen entlang des Flusses haben sich Massen von Wespen eingenistet, die bei der kleinsten Störung angriffen. Wir wurden fast alle gestochen und Branden musste sogar zum Arzt, weil sich das Gift wie ein Geschwür auf seinem Arm ausgebreitet hatte.
Die Red Hills machen ihrem Namen alle Ehre und sorgen für eine weitere Abwechslung im Landschaftsbild. Doch die langen Tage fordern irgendwann ihren Preis. Ich war 9 Tage nonstop unterwegs, ohne wirklich einmal Luft zu holen. So entschied ich mich am letzten Tag für den einfacheren, 10 km kürzeren Weg aus dem Wald heraus und überließ Connor sich selbst.
In St. Arnaud angekommen, kam ich nach einer guten Mahlzeit, einer heißen Dusche und etwas Ruhe schnell wieder zu Kräften. Ein Ruhetag stand auf dem Programm, bevor es zur nächsten Etappe ging. Ich habe meine Verpflegungsbox abgeholt und noch ein paar Kleinigkeiten eingekauft, die ich nicht vorausgeplant hatte. Connor musste an seinem Ruhetag Proviant aus einer nahe gelegenen Stadt holen und war so nett, mir frisches Gemüse mitzubringen.
So gewappnet geht es weiter. Der eigentliche Trail führt durch ein Tal. Connor und ich beschließen, gemeinsam eine andere Route zu nehmen, die über einen angrenzenden Berg zu einem 1800 Meter hoch gelegenen See führt. Man will es sich ja nicht gleich wieder zu einfach machen. Das wird für uns ein halber Tag, den wir dann zum Ausruhen nutzen können.
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