Auf dem Höhepunkt des Te Araroa
Hauptseite des Through-Hikes mit Übersicht der gelaufenen Strecke
Rangitata und Rakaia
Der Abschnitt, den Logan und ich vor vier Jahren ausgelassen hatten, liegt zwischen zwei Flüssen, dem Rakaia und dem Rangitata, die man mit dem Shuttlebus umfahren oder, wenn es der Wasserstand zulässt und man sich sicher genug fühlt, durchqueren kann. Wir haben uns für das Shuttle entschieden, da wir noch Proviant einkaufen mussten und Logan uns auf den nächsten beiden Etappen begleitete. Nach einem Tag Pause ließen wir uns auf die andere Seite des Rakaia bringen, um von dort aus weiter nach Rangitata zu wandern.
Ich erinnere mich, dass wir diesen Abschnitt vor vier Jahren ausgelassen hatten, weil er logistisch schwierig war und wir vor einer unmöglichen Anzahl von Sandfliegen gewarnt worden waren. Diesmal wagten wir uns an den Rangitata, den kleineren der beiden Flüsse, und hatten insgesamt drei Tage Zeit, uns mental darauf vorzubereiten. Die Sandfliegen scheinen sich ein neues Zuhause gesucht zu haben. Wir haben kaum welche gesehen, oder besser gesagt, auf die Haut bekommen.
Ohne Erwartungen konnten wir nur positiv von der Schönheit der vergangenen Tage überrascht werden. Die erste Hütte musste erklommen werden und überraschte uns mit starken Winden. Am nächsten Tag wurden die Füße schon am frühen Morgen immer wieder nass. Ununterbrochen, wie Noor zählte, überquerten wir den ganzen Vormittag einen kleinen Fluss, 76 Mal. Für 7 km brauchten wir 4 Stunden. Mir kam es eher wie 30 Überquerungen vor, aber Logan, Connor und ich sind oft einfach im Wasser geblieben und direkt den Fluss hinaufgestiegen.
Tassoks sind Grasbüschel, die ich so aus Europa nicht kenne. An steilen Hängen sind sie sehr nützlich, um nicht ständig abzurutschen. Im flachen Gelände sind sie allerdings ein echtes Hindernis, vor allem wenn sie eine gewisse Größe erreicht haben. Jeder Schritt muss gut geplant und überlegt sein. Vor ein paar Wochen in den Tararuas auf der Nordinsel war es noch schlimmer, denn zwischen den einzelnen Büscheln war es auch noch schlammig und dadurch unglaublich rutschig. Es würde mich nicht wundern, wenn das einer der Hauptgründe ist, warum sich die Leute hier die Füße vertreten. Ich bin schon ein paar Mal umgeknickt, ohne dass mir etwas passiert ist. Aber ich scheine in dieser Hinsicht ziemlich robust zu sein.
Wir haben uns entschlossen, die große Flussüberquerung zu viert zu machen; da das Wetter in den letzten Wochen trocken war, scheint es kein großes Problem zu sein, den Fluss zu überqueren. Wir haben von entgegenkommenden Wanderern gehört, wie problemlos sie es empfunden haben. Das stimmte uns zwar positiv, aber wir wussten noch nicht hundertprozentig, was uns erwarten würde.
Am Ende mussten wir nur an einer Stelle des Flusses in Formation gehen, der Schwerste, ich, ganz oben in der Reihe, und dann nach Gewicht absteigend, einander flussabwärts einhakend. Trotz anfänglich kalter Füße bei dem einen oder anderen, sind wir alle gestärkt aus dieser Erfahrung hervorgegangen. Zusammenhalt und gegenseitiges Vertrauen haben hier einen großen Unterschied gemacht, denn keiner wusste so recht, worauf wir uns eingelassen hatten.
Mir (mehr) Erfolge gönnen
Heute habe ich mit Logan über Jahresziele gesprochen. Ich habe mir dieses Jahr keine gesetzt, aber ich habe mir erlaubt, mir mehr Erfolg zuzugestehen und stolz auf das zu sein, was ich erreicht habe.
Ich habe mein ganzes Leben damit verbracht, Erfolge, die andere groß feiern, als für mich nicht so bemerkenswert abzutun. So war es auch bei all meinen Schulabschlüssen, wo ich immer gut war, ohne mich wirklich anstrengen zu müssen, im Beruf habe ich immer gute Beurteilungen bekommen oder wurde sogar gelobt, ohne mich dafür anzustrengen, und hier auf dem Trail schaffe ich im Schnitt über 20 km am Tag, was sich schon nicht mehr nach einer besonders herausragenden Leistung anfühlt. Wenn ich meinen Freunden und meiner Familie erzähle, was ich hier mache, können sie es meistens kaum glauben.
Gerade bei so großen Zielen, die meinen ganzen Alltag bestimmen, wird es so normal, dass ich gar nicht mehr merke, wie gut ich eigentlich bin. Ich befinde mich in einer Blase, weil alle um mich herum die gleichen oder zumindest ähnliche Leistungen erbringen. In dieser Blase erscheint mir meine Leistung schnell nicht mehr so besonders.
Logan hat mich gefragt, was ich erreichen will, wenn ich stolz auf mich bin. Ich denke, dass es nicht gut für meine Zufriedenheit ist, wenn ich bei nichts, was ich tue, das Gefühl habe, etwas wirklich erreicht zu haben. Ich weiß nicht, ob mich das glücklicher machen würde. Ich bin dadurch nicht weniger motiviert, Neues auszuprobieren. Im Gegenteil, oft schmiede ich schon neue Pläne für weitere Herausforderungen, bevor ich fertig bin. Ich neige eher dazu, mich zu langweilen und schon nach dem nächsten Kick zu suchen.
Für mich ist immer alles einfach, zumindest wenn ich zurückblicke. Das heißt, selbst wenn ich einen anstrengenden Tag habe, der mich an meine Grenzen bringt, biegt sich meine Erinnerung so, dass es nichts weiter war. Im Gewebe der Zeit gelingt es mir, etwas Abgeschlossenes an den Rand zu drängen, als wäre es nichts gewesen. Ich kann nicht genau sagen, warum ich das tue.
Vielleicht, weil wir jeden Tag daran erinnert werden, dass es jemanden gibt, der besser ist als wir selbst? Als ich jünger war, hatte das Internet noch nicht diese Eigenschaft, sich im besten Licht darzustellen, wie wir es heute gewohnt sind. Jedes Profil ist so auf Hochglanz poliert, dass wir völlig vergessen, dass sich dahinter echte Menschen mit Verletzlichkeiten und Problemen verbergen, die nur selten nach außen getragen werden.
Die Folge ist, dass ich Lob nur schwer annehmen kann. Weder von mir selbst, noch von anderen; von anderen ist es sogar oft unangenehm. Aus der Sicht der anderen habe ich natürlich etwas Besonderes geleistet, das Beachtung verdient, aber nicht aus meiner Sicht.
Noor, Connor und Logan empfinden es ähnlich. Gerade wenn man etwas über einen längeren Zeitraum macht, wird es zur Normalität und man verliert die Distanz, um zu beurteilen, wie viel Arbeit wirklich nötig war, um das Ziel zu erreichen. Alle um einen herum tun das Gleiche wie man selbst. Sie sind daher oft kein guter Maßstab, um die eigene Leistung zu bewerten oder zu vergleichen. Vielmehr sollte ich versuchen zu sehen, was ich an Energie aufgewendet habe, bzw. worauf ich verzichtet habe, um dorthin zu kommen, wo ich bin. Nicht jeder würde es auf sich nehmen, genügend finanzielle Rücklagen zu bilden, den Job zu kündigen, keine Wohnung mehr zu haben, 3000 km über Monate zu Fuß zu gehen und dabei immer wieder tagelang nur im Zelt zu schlafen und auf eine Dusche zu verzichten. Wenn ich das so formuliere, klingt das ganz anders, als wenn ich sage, ich bin jeden Tag ein paar Stunden wander.
Aber das zu verinnerlichen, ist eigentlich wieder eine andere Nummer. Wenn ich mir selbst keine Erfolge zugestehe, ist eine Folge davon, dass ich auch die Erfolge der anderen daran messe oder noch schlimmer, dass ich Dinge als einfach und für jeden leicht erreichbar darstelle. Manchmal fühle ich mich sogar entfremdet, wenn andere scheinbar Erfolge feiern, die ich nicht einmal sehen kann. Diese Wahrnehmung ist wahrscheinlich nicht sehr motivierend für andere. Das möchte ich auf keinen Fall ausstrahlen. Im Gegenteil, ich möchte lieber motivierend wirken. Zumindest bilde ich mir das ein. Ob es wirklich so auf andere wirkt, weiß ich nicht.
Geht es euch auch so? Wie feiert ihr eure kleinen und großen Erfolge?
Erinnerungen
Es kommt mir seltsam vor, dass ich eigentlich sehr wenig wiedererkenne. Logan scheint sich viel genauer an die Abschnitte zu erinnern, die wir vor vier Jahren in die andere Richtung gelaufen sind. Er hat konkrete Erinnerungen daran, wie eine Hütte ausgesehen hat oder wie der Trail war. Ich kann mich nur selten an etwas erinnern und wenn, dann nur, wenn ich es wieder sehe, aber nicht, wenn wir nur darüber reden. Ich frage mich, ob Logan vielleicht kürzlich Bilder gesehen hat, die ihm geholfen haben, sich zu erinnern. Anscheinend nicht. Sicher ist, dass unser Gedächtnis ganz unterschiedlich funktioniert. Aber für uns beide gilt: Wenn wir müde sind, bleibt weniger hängen. Ich verbinde Erinnerungen meist mit bestimmten Gefühlen und Reizen, zum Beispiel Gerüchen.
Der Weg nach Lake Tekapo
Nachdem wir den Rangitata überquert hatten, mussten wir noch einen kleinen Fluss hinauf. Die meiste Zeit blieben wir im Flussbett. Der eigentliche Trail verlief mal am Fluss entlang, mal durch den Fluss hindurch. Als der Trail zu hoch führte, sind wir einfach im Fluss geblieben und haben uns so viele Höhenmeter erspart. Der Tag war schon anstrengend genug, da brauchte es nicht noch mehr.
Auf den letzten Kilometern schleppten wir uns alle nur noch dahin und brauchten eine Stärkung und eine Pause, bevor wir uns zur Crooked Spur Hut hochkämpften. Wir mussten uns alle gegenseitig moralisch und körperlich unterstützen, um unser Ziel zu erreichen. Es ist schön, eine kleine Trail-Familie zu haben, auf die man sich verlassen kann, wenn es mal schwierig wird. Was für eine Erleichterung, wenn man sich einfach mal anlehnen kann.
Gerade in den letzten Wochen genieße ich es sehr, Menschen um mich zu haben, mit denen ich schon auf einer tieferen Ebene verbunden bin. In den Gesprächen geht es um Ängste und Nöte, die uns in der Vergangenheit so geprägt haben und uns zu dem gemacht haben, was wir heute sind. Was uns früher schwer fiel und was wir überwunden haben. Wir reden über unsere Träume, nicht nur darüber, was wir in der nächsten Pause essen werden, sondern vor allem darüber, was wir uns für unsere Zukunft vorstellen, wohin die Reise im wahrsten Sinne des Wortes gehen soll.
Wie bereits oben erwähnt, scheinen wir alle ein gewisses Problem damit zu haben, uns selbst zu loben. Das bringt mich auf die Idee, andere Wanderer zu fragen, wie sie das sehen. Vielleicht ist das ja eine Eigenschaft, die man braucht, um solche Dauerbelastungen wie einen Through-Hike durchzustehen.
Logan ist natürlich nicht so durchtrainiert wie der Rest von uns, aber dafür macht er es umso besser. Wir haben eine gewisse Balance gefunden, bei der jeder ein bisschen nach seinem eigenen Tempo und seinen eigenen Bedürfnissen läuft, während wir die gemeinsame Zeit so gut wie möglich nutzen. Morgens sind wir in der Regel gemeinsam gestartet und haben die erste Hälfte des Tages zusammen verbracht. Am Nachmittag sind wir dann in unserem eigenen Tempo gewandert.
Nicht sehr fotogen(erierend)
Im letzten Abschnitt habe ich bestimmt 600 Fotos gemacht. Nur eine Handvoll davon schaffen es in meine Artikel. Es ist wirklich schwierig, Landschaften so einzufangen, wie sie sich einem präsentieren. Gerade an bewölkten Tagen fehlen die Schatten, die für Kontrast sorgen und Details in der Landschaft hervorheben. Die Farben wirken einheitlich grau, der Himmel scheint mit den Bergen zu verschmelzen, anstatt einen Hintergrund zu bilden. Aber selbst bei guten Lichtverhältnissen ist es schwierig, die unendliche Weite einzufangen, die sich uns Tag für Tag bietet. Hinzu kommt, dass ich das Fotografieren durch ein paar Videos auf YouTube “gelernt” habe, nichts, womit ich wirklich angeben könnte. Ich verlasse mich vor allem auf die Algorithmen meiner Handykamera.
Hoch hinaus
Einer der Höhepunkte dieser Woche war der höchste Punkt des Trails, 1925 Meter über dem Meeresspiegel, auf dem Stag Sattle. Hier hätte man sicher noch ein paar Meter drehen können, um die 2.000er Marke zu knacken. Vom Sattel aus hatten wir einen atemberaubenden Blick auf die neuseeländischen Alpen und, wenn nicht gerade Wolken den Blick versperrt hätten, fast auf den Mount Cook, den höchsten Berg Neuseelands. Ich hoffe, dass ich an einem anderen Tag eine bessere Sicht haben werde.
Der Lake Tekapo, unser Ziel, an dem uns Logan wieder verlässt, um in seinen Alltag zurückzukehren, ist so blau, weil er von Gletschern gespeist wird und voller Mineralien ist, dass man fast glauben könnte, er sei die Spiegelung des Himmels. Noch beeindruckender ist es, wenn ein leichter Wind darüber fegt und die Mineralien aufwirbelt.
Seit ich vor gut einem Monat in Ship Cove im Norden der Südinsel gestartet bin, habe ich über 700 km und 25.000 Höhenmeter bergauf und bergab zurückgelegt. Allein die Höhenmeter sind schon eine große Wanderung von 50 km, und da ist man horizontal noch keinen Schritt weitergekommen. Das ist schon beeindruckend.
04.03.2024 – Artikel überarbeitet und auf Fehler überprüft
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