Brasilien – Paraty – São Paulo
Was ich will
Ich habe Brasilien als ein sehr lebendiges Land empfunden. Das Leben spielt sich viel auf der Straße und am Strand ab. Die Menschen, die ich kennengelernt habe, sind alle sehr herzlich und gastfreundlich. Man kommt schnell ins Gespräch und ich habe mich durch das Interesse an mir wahrgenommen gefühlt. Allerdings gibt es eine große Kluft zwischen Arm und Reich, die einem ständig vor Augen geführt wird. Vor allem in den Städten ist das sehr spürbar. Auf dem Land ist mir das nicht aufgefallen. Vielleicht ist es aber auch einfach nur versteckter. Aber so extrem wie hier in Kolumbien, wo ich gerade bin, ist es mir nicht aufgefallen. Dazu ein andermal mehr.
Ich sehe meine Reise weniger als Urlaub, in dem ich versuche, möglichst viel zu sehen und zu erleben, sondern als eine Reise zu mir selbst. Deshalb sind für mich die Menschen, mit denen ich Zeit verbringe, wichtiger als der Ort, an dem ich mich gerade befinde. Manchmal kann dieser Mensch auch ich selbst sein. Wenn ich es mir aussuchen kann, dann ist es am liebsten ein ruhiger Ort in der Natur. Wenn es eine Stadt ist, dann mit wenig Verkehr und viel Grün. Orte, an die ich mich zurückziehen kann, um abzuschalten.
Rio de Janeiro
Ich konnte die Zeit in Rio nicht so richtig genießen. In Copacabana, wo Stephen wohnt, ist es so laut und der Verkehr so überwältigend für mich, dass mein Geist überhaupt keinen Raum hat, sich zu entfalten und zu entspannen. Deshalb bin ich zwischen meinen Aufenthalten in Rio immer wieder in die Natur geflüchtet. Andere können sich an den Lärm gewöhnen. Stephen genießt das Leben im Trubel der Stadt mit dem Strand gleich um die Ecke. Für mich ist das nichts.
Ich frage mich, inwieweit man sich von zu viel Lärm, der ständig um einen herum ist, beeinflussen lässt und wie weit man ihn ausblenden kann, ohne dass er sich auf die Psyche auswirkt. Eine kurze Google-Suche bestätigt mein Gefühl: Lärm macht krank.
Gartenarbeit
Ich erwache zum Morgenlärm, zur Meditation schalte ich ihn aus, die Technik in meinem Ohr dämpft den Lärm, sie tut, was sie kann. Sie wird mein täglicher Begleiter. Es ist eine Lösung für ein Problem, das wir selbst geschaffen haben. Der Technik folgt noch mehr Technik. Ich lege mich erschöpft zu den Geräuschen hin. Das Bewusstsein schaltet ab, die Nachbarn drehen auf. Ich frage mich, ob er weiter zu mir durchdringt. Ich denke schon, tiefer Schlaf bleibt mir versagt. Ich drehe und wälze mich. Das Kissen ist hart. Wie immer, wenn der Schlaf mich nicht zudecken will. Der Kreislauf beginnt täglich von neuem. Diese Reise soll mich entdecken lehren, wer ich bin, was ich will und wo ich in Zukunft leben möchte. Ich gebe mir den Raum, das zu erkunden, was ich will, ohne den manchmal eingeschliffenen Alltag, der mich in der Vergangenheit in seinen Fängen gehalten hat. Der Alltag, die Routine, wenn man so will, kann etwas sehr Beruhigendes sein. Aber wie man zu dieser Routine kommt, wie bewusst man sie sich aneignet, bestimmt für mich, wie zufrieden ich damit sein kann. Ich suche einen Lebensstil, bewusst, mehr von mir getrieben. Das bedeutet, dass ich den Garten, der das Leben ist, bewusst anlege. Ich lasse das Unkraut nicht einfach wachsen, sonst erstickt es irgendwann die bunten Blumen, die mich so stolz machen, sie gepflanzt und gepflegt zu haben. Manche Pflanzen gefallen mir vielleicht, aber sie passt nicht zum Rest des Straußes. Man muss sie ja nicht gleich wegwerfen, Umpflanzen gibt ihr vielleicht einen Platz, wo sie besser hinpasst. Das Gras wird gemäht, die Äste der Bäume und Sträucher gestutzt. Ein paar neue Pflastersteine helfen durch den Garten. Irgendwann kommt vielleicht noch ein Gartenzwerg dazu, mit ähnlichen Vorstellungen von Landschaftsgestaltung. Plötzlich wird gemeinsam gegossen und Unkraut gejätet.
Im Moment besteht meine Gartenarbeit mehr aus Unkraut jäten als aus Pflanzen. Ich entferne die Pflanzen aus meinem Garten, die mir nicht so gut gefallen. Was bleibt, sind die, die ich schon immer mochte und Platz für neue, von denen ich noch gar nicht weiß, dass es sie gibt.
Paraty
Zur Abwechslung habe ich mal wieder eine kleine Wanderung gemacht, eineinhalb Stunden bis zum Gipfel des Pão de Açúcar und zurück. Nicht der in Rio, in Paraty gibt es auch einen. Auf Deutsch ist er als Zuckerhut bekannt. Von dort hat man einen herrlichen Blick auf die Fjorde von Paraty. Angeblich der einzige tropische Fjord der Welt.
In Paraty fand ich einen weiteren Ort der Ruhe in einem Hostel, das wie ein Baumhaus aussieht. Ein Ort, an dem ich weiter an meinen Routinen arbeiten kann, die mein neues Leben ausmachen. Jeden Morgen nach dem Aufstehen meditiere ich und strecke und dehne mich. Ich schreibe, für mich und für andere. Ich bin im Augenblick. Ob ich ruhe oder mich bewege. Ich genieße den Tag.
Paraty war die letzte Station, bevor es in die größte Stadt Brasiliens ging. São Paulo hat zwölf Millionen Einwohner.
Gefühlswelt öffnen
Wer suchet, der findet. Manchmal weiß man es nicht, bis es plötzlich passiert. Olga habe ich letztes Jahr in Portugal kennen gelernt. Ich war gerade am Busbahnhof in Coimbra angekommen und wartete darauf, von meinen Freunden abgeholt zu werden. Ich lief ein paar Meter neben ihr auf und ab und starrte auf mein Handy, um zu sehen, wo meine Freunde waren. Aus den Augenwinkeln bemerkte ich, dass die Frau auf der Bank mich beobachtete und sich Notizen machte. Ich bin ein wenig hin und her gerissen, ob ich sie ansprechen soll, aber schließlich fasse ich mir ein Herz. Nach einem kurzen Gespräch in holprigem Portugiesisch, Spanisch und Englisch tauschten wir Nummern aus und trafen uns ein paar Tage später in Porto wieder. Wir waren auf einer Wellenlänge. So kam es, dass sie mich nach Brasilien einlud. Wie passend, dass das Land auf meiner diesjährigen Reiseroute liegt.
Olga hat mir den Raum und das Vertrauen gegeben, eine emotionale Seite in mir zu wecken, die vorher nur selten zum Vorschein kam. Mich zu öffnen hilft mir, mich zu entspannen. Die Dinge langsam angehen zu lassen, statt sie sofort anzupacken. Erwartungen, die ich an mich selbst und an andere habe, loslassen. Erwartungen, von denen ich gar nicht so genau weiß, woher sie kommen. Ob sie aus der Gesellschaft, aus der Kultur oder aus der Familie kommen, sich dessen bewusst zu sein, hilft mir, sie aus dem Weg zu räumen.
Manchmal sende ich Signale aus, die missverstanden werden können. Mein Gesicht und meine Absichten sind offensichtlich schwer zu lesen. Olga wusste manchmal nicht, was sie mit mir und meinem Verhalten anfangen sollte. Das höre ich nicht zum ersten Mal. Ich glaube, es liegt daran, dass ich immer noch irgendwie mit angezogener Handbremse durch die Gegend laufe. Ich bin nicht bereit, auch nicht unbewusst, mich auf das andere Geschlecht einzulassen. Fairerweise muss ich auch zugeben, dass ihre ruhige, beobachtende Art ihren Teil dazu beiträgt und es erschwert, ihre Stimmung zu lesen. Ich denke, dass wir uns auf diese Weise gegenseitig irritiert und auch beeinflusst haben.
Es fällt mir schwer, die Kontrolle abzugeben und darauf zu vertrauen, dass die imaginäre Raubkatze mir nichts tun wird. Mein Kopf findet schnell Dinge, die er mir in den Weg stellen kann. Das fängt schon damit an, dass ich auf mein Gegenüber eine Erwartungshaltung projiziere, die mit der Realität wenig zu tun hat. Ich bin ein Picasso, wenn es darum geht, den Teufel an die Wand zu malen. Und das erzeugt Distanz und Stress. Allein diese projizierte Erwartungshaltung versetzt mich in eine geistige und oft auch körperliche Starre.
Der Stein, den ich zuvor mit Josie ins Rollen gebracht hatte, hat mir diesmal geholfen, weiter zu wachsen und mich selbst ein wenig besser zu verstehen. Dieser Stein heißt Verletzlichkeit und Offenheit. Ich bin sehr dankbar, dass ich diese Erfahrung mit so vielen lieben Menschen um mich herum machen durfte und diese Reise nicht alleine antreten musste.
São Paulo
Ein paar Worte über die Stadt, in der ich mehr als eine Woche verbracht, aber nicht wirklich viel gesehen habe. Generell ist mir aufgefallen, dass Brasilien nicht das Land ist, in dem man an jeder Ecke guten Kaffee bekommt. Meine Erwartung war eine ganz andere. Aber anscheinend wird der ganze gute Kaffee ins Ausland exportiert. In Brasilien geben sich die Leute mit einer Qualität zufrieden, die ich nicht kenne, ganz im Gegensatz zu Neuseeland und Australien, wo es schwer ist, schlechten Kaffee zu bekommen.
Auch auf den Straßen von São Paulo dominiert der Verkehr. Einmal bin ich an einem Freitagabend mit Olgas Auto ein paar Kilometer durch die Stadt gefahren. Das war nicht das, was ich empfehlen würde. Ich halte mich für einen vorausschauenden und ruhigen Fahrer. Aber für das Chaos fehlt mir die Erfahrung. Straßen gehen plötzlich teilweise in andere Straßen über oder ändern die Richtung. Wenn man einmal falsch abgebogen ist, kann es schnell 15 Minuten dauern, bis man wieder auf dem richtigen Weg ist.
Es gibt einige Parks in der Stadt, aber nur sehr wenige für die Größe der Stadt. Die Auswahl an Restaurants ist groß. Sogar für mich, der sich, wenn möglich, pflanzlich ernährt, gibt es eine große Auswahl.
Obst und Gemüse kauft man am besten auf dem Wochenmarkt. Dort bekommt man für wenig Geld einen Wocheneinkauf an sehr frischen Leckereien. Supermärkte habe ich dagegen als sehr teuer empfunden.
Wenn man ausgehen möchte, findet man auch etwas. An einem Abend waren wir auf einem Konzert, das ich frühzeitig verlassen musste, weil es mir zu laut war. Ich dachte immer, dass ich schlecht höre, aber anscheinend hören andere noch schlechter, wenn die Musik überall so laut ist. Oh man, ich höre nicht nur wie ein Opa, ich klinge auch wie einer.
Es gibt viele Museen. São Paulo scheint mir ein Zentrum der Kultur zu sein. In der Galerie, in der wir waren, gab es einen Raum ohne Wände. Alle Bilder hingen an Glasplatten, so dass man den Blick weit über alle Exponate schweifen lassen konnte. Einige Werke profitierten sogar davon, dass sie von beiden Seiten zu sehen waren.
Nach einem wunderschönen Monat in Brasilien geht es nun weiter nach Kolumbien. Auch hier habe ich wieder einen Freund, den ich besuchen und bei dem ich eine Weile wohnen werde.
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