Ein Monat im kolumbianischen Dschungel
Ja, ich finde es falsch, Dschungel in der deutschen Schreibweise zu schreiben.
Die fast vier Wochen im Blue Dot Hostel haben mir sehr viel Spaß und Freude bereitet. Ich habe viel Neues über die Arbeit und das Zusammenleben im Jungle gelernt. Die Menschen im Camp haben mir die Zeit versüßt und sind mir ans Herz gewachsen. Irgendwo freiwillig zu arbeiten hat mir einen ganz neuen Horizont des Reisens eröffnet. Dadurch, dass alle länger hier bleiben, lernt man sich viel besser kennen, als wenn man nur von Hostel zu Hostel zieht, wo man gefühlt jeden Tag mit Smalltalk von vorne anfängt. Da man hier mit seiner eigenen Arbeitskraft bezahlt, ist es auch eine kostengünstige Art, ein Land kennen zu lernen. Vorausgesetzt, man hat Zeit.



Ich habe mich freiwillig gemeldet, um zwei Holländern bei der Verwirklichung ihrer Vision zu helfen. Daan und Garlyn haben sich vor einigen Jahren den Traum erfüllt, nach Kolumbien zu ziehen und sich dort ein neues Leben aufzubauen. Mit einem kleinen Budget und etwas geliehenem Geld kauften sie ein 70 Hektar großes Grundstück in der Nähe von Santa Marta, gleich um die Ecke von La Ciudad Perdida. Das Land, das wie eine Halbinsel von einem Fluss umflossen wird, ist sehr fruchtbar. Es eignet sich daher hervorragend, um sich und seine Gäste eines Tages weitgehend autark zu ernähren. Das Land ist derzeit über eine noch nicht fertiggestellte Brücke zu erreichen, zwei Seile, die mit einem Karren überquert werden können. Der andere Weg führt über die Berge. Eher unpraktisch, um etwas Schwereres als einen kleinen Rucksack aufs Land zu bringen.
Seit einigen Jahren bauen sie eine Jugendherberge nach ökologischen Grundsätzen. So viele Materialien wie möglich werden lokal eingekauft oder direkt vom eigenen Land bezogen. Vieles wird wiederverwendet oder recycelt. Die Wasserversorgung wird durch einen nahe gelegenen Bach sichergestellt. Strom wird derzeit über zwei Solarzellen erzeugt, mit denen wir unsere Geräte aufladen, abends das Licht einschalten und über Elon Musks Starlink ins Internet gehen. Wäre der Strom nicht von der Menge des Tageslichts abhängig, hätten wir eine permanente Internetverbindung, die so manchen Anschluss in Deutschland in den Schatten stellen würde. Mir ist noch nicht einmal aufgefallen, dass die Verbindung auch nur ansatzweise zusammenbricht, egal wie viele von uns gerade Videos schauen und mit ihren Lieben telefonieren.






Die Baustelle lebt davon, dass sie neben den fest angestellten Bauarbeitern auch Freiwillige wie mich beherbergt, die sie bei ihrer Arbeit unterstützen. Das Hauptgebäude, ein freistehendes Dach ohne Wände, bietet uns allen Schutz für die Nacht. In Hängematten, Zelten und Matratzen finden wir hier täglich unseren gerechten Schlaf. Es sei denn, wir lassen uns von den Mücken- und Sandfliegenstichen zu sehr zum Kratzen verleiten. Aber man lernt schnell, sich zu schützen. In den letzten Wochen haben wir damit begonnen, eine Wiese zu räumen und den Boden zu ebnen, um dort eine Werkstatt zu errichten, die später als Basis für alle Bauarbeiten dienen soll. Hier soll in Zukunft Kunst und Kultur ein Dach finden. Ein Forum für den Austausch der Künste. Da es unmöglich ist, schweres Gerät hierher zu transportieren, sind wir auf unsere Hände und dicke Arme angewiesen. Mit Pickel und Schaufel werden kubikmeterweise Erde, Holz und Steine schubkarrenweise von A nach B transportiert. In der Wintersonne eine Plackerei, die ich nur wenige Stunden am Vormittag aushalte, aber es ist sehr befriedigend zu sehen, wie es, wenn auch relativ langsam, sichtbar vorangeht.



Die Aufgaben hier sind vielfältig. Jeder, der freiwillig hierher kommt, kann aus einem breiten Spektrum von Aufgaben wählen. Grundsätzlich geht es natürlich darum, den Bau voranzutreiben. Aber neben den Gebäuden müssen auch Möbel geschreinert, Gärten angelegt und vor allem für das leibliche Wohl aller gesorgt werden. Zweimal am Tag wird für die rund 10-köpfige Crew gekocht. Da die Gärten noch nicht genug abwerfen, wird Gemüse aus den umliegenden Dörfern angeliefert. Avocados und Limetten kommen bereits aus eigenem Anbau. Bananen und Platano, eine Kochbanane, dürfen wir von den Bäumen der Nachbarn pflücken. Die Mahlzeiten sind vegan, ganz im Sinne des zukünftigen Hostels. Nur auf Eier und Käse wollen die Arbeiter nicht ganz verzichten. Wer sich gerade berufen fühlt oder in der Hitze nicht mehr arbeiten kann, übernimmt das Zepter in der Küche. Oft finden sich schnell weitere helfende Hände. Gekocht und gegessen wird in der temporären Küche, die während meines Aufenthaltes zur Hälfte abgebaut und für andere Projekte wiederverwendet wurde. So fließend geht es hier zu. Ich vermute, wenn ich ein paar Monate später wiederkommen würde, würde ich kaum etwas wiedererkennen.






Die Menschen
Drei Kolumbianer, Yair, Rudolfo und Hader, ein Venezolaner, Marlin, und die beiden Holländer mit ihren mittlerweile vier Hunden leben fast ständig hier. Der Rest der Crew ist eine ständige Mischung aus Gästen aus aller Welt. Dieser bunte Strauß sorgt für viele interessante Gespräche, die nicht selten darin enden, jemandem eine Sprache beizubringen. Hier findet ein tiefgreifender kultureller Austausch statt, der nicht immer zu einem Konsens führt, aber mit Sicherheit für viel Gelächter sorgt. Es wird viel gemalt, geschnitzt und musiziert. Jeder bringt dem anderen bei, was er am besten kann.






Immer wieder sprechen wir Besucher darüber, was uns bewegt und was uns Angst macht. Jeder scheint auch auf dieser Reise zu sein, um mehr über sich selbst zu erfahren und an den kleinen Dingen zu arbeiten, die einen an sich selbst stören. Jeder von uns hat die Absicht, stärker und weiser aus diesem Abenteuer hervorzugehen. Es ist irgendwie beruhigend, sich auf diesen Austausch einzulassen. Allzu oft denkt man, dass man der Einzige ist, der mit sich kämpft. Aber gerade in den tiefen Gesprächen, gemeinsam in den Hängematten, zeigt sich, dass wir alle an einem neuen Ich schmieden und uns gegenseitig motivieren, das Beste aus uns herauszuholen.



Man muss nicht viele Stunden pro Woche arbeiten. So bleibt genügend Zeit für eigene Interessen. Ich habe viel gelesen, geschrieben und die Umgebung erkundet. Mindestens viermal am Tag bin ich in den Fluss gesprungen, um mich abzukühlen und ein paar Bahnen gegen den Strom zu schwimmen. Die Felsen, die in den Fluss hineinragen, laden zu gelegentlichen Kopfsprüngen und Saltos ein. Morgens gehe ich als erstes hinunter, um zu meditieren und die ersten Bahnen zu schwimmen. Ohne den Fluss wäre es hier an manchen Tagen kaum auszuhalten. Obwohl Winter ist, brennt die Sonne unerbittlich und die fast täglichen Regenschauer sorgen für eine hohe Luftfeuchtigkeit, die einem zwar den Schweiß aus den Poren treibt, aber kaum für Abkühlung sorgt. Der Fluss ist Dusche und Waschmaschine in einem. Fast vier Wochen habe ich es geschafft, ohne Seife und Waschmittel auszukommen. Meine Haare waren noch nie so weich, sie lassen sich leicht kämmen. Melvin meint, dass es an den Mineralien liegt, die im Fluss sind. Ich glaube, ich rieche auch nicht. Wenigstens merkt das hier keiner… Mal sehen, was passiert, wenn ich wieder in der Zivilisation bin.



In der Umgebung gibt es einige Trails zu erkunden, die von den Einheimischen zum Transport genutzt werden. Wir haben uns immer wieder auf kleine Missionen begeben. Kristina und ich haben gleich am ersten Wochenende versucht, einen Wasserfall zu finden, der einfach zu erreichen sein sollte. Wir haben zwar den Bach gefunden, der ihn speist, aber nicht den Weg dorthin. Irgendwann landeten wir weit oberhalb des Baches auf dem Grundstück eines Nachbarn, fanden aber keinen Weg zurück zum Wasser. Irgendwann kehrten wir um. Es stellte sich heraus, dass am Bach entlang heißt, durch den Bach hindurch. Wir versuchten es eine Weile, aber die Felswände wurden irgendwann zu steil und wir hätten schwimmen müssen, um weiterzukommen. Eine Woche später versuchte ich das Gleiche noch einmal mit Nato. Wenn man weiß, dass der Fluss der Trail ist, kann man viel Spaß haben. Immer wieder durchschwammen wir den Fluss, sprangen von Felsen zu Felsen und machten Kopfsprünge und Saltos in Wasserbecken. Ich liebe solche natürlichen Wasserparks.
Nachbarn
Wenn hier von Nachbarn die Rede ist, heißt das nicht, dass man einfach mal über den Zaun gehen und ein Schwätzchen halten kann. Der nächste Nachbar ist eine halbe Stunde entfernt und man muss zweimal den Fluss überqueren, um ihn zu erreichen. Die anderen Nachbarn sind mindestens eine Stunde Fußmarsch entfernt. Ich war ein paar Mal dort, um Bananen und andere Früchte von ihren Bäumen zu pflücken, aber ich habe sie nie gesehen. Man ist hier sehr von allem abgeschnitten.



Zwei andere Nachbarn, Javer und Lillet, wohnen etwa eineinhalb Stunden flussabwärts. Kristina, Samantha, Nato und ich haben sie an zwei Wochenenden besucht. Sie beherbergen gerade einen Volontär, der vorher bei uns im Hostel war. Die beiden sind wunderbare Gastgeber, die uns mit allerlei Leckereien und Unterhaltung verwöhnt haben. Javer ist Venezolaner, der 20 Jahre in den USA als Programmierer gearbeitet hat und irgendwann, genau wie ich, genug von diesem Wahnsinn hatte. Es war sehr spannend, seine Geschichte zu hören und zu erfahren, was es bedeutet, aus dem “zivilisierten” Kalifornien ins Nirgendwo zu ziehen. Er sagte, wenn man einen solchen Schritt wagt, sollte man sich über einige Dinge im Klaren sein. Man tauscht nicht die Arbeit, die man vorher gemacht hat, gegen ein faules Leben in der Hängematte ein. Vielmehr tauscht man den monotonen Arbeitsalltag an der Tastatur gegen eine abwechslungsreiche und befriedigende Arbeit auf dem eigenen Land. Es gibt keinen Tag in seinem Leben, an dem er nichts zu tun hat. Er sagt, die tägliche Abwechslung in seinem kleinen Reich mache ihn glücklicher denn je.



Wir sprechen über den ökologischen Aspekt seines Unternehmens. Er versucht, alles so ökologisch wie möglich zu bauen und zu leben. Aber zu glauben, dass alles ganz ökologisch geht, bleibt ein Traum, bis man das Geld scheißt wie der Märchenesel. Die Natur sorgt dafür, dass das Haus schneller zerfällt, als man Balken und Wände erneuern kann. Ganz ohne industrielle Helfer geht es kaum. Dasselbe gilt für das Bauen ohne Beton, möglich, sicher, sinnvoll, eine andere Frage.
Ich war beeindruckt, was die beiden in den letzten 5 Jahren auf die Beine gestellt haben. Ihr eigenes Haus ragt zweigeschossig in den Himmel und bietet Schlafplätze für fünf Personen, komplett mit drei Bädern, Küche und Wohnzimmer. Weiter unten auf dem Grundstück steht ein weiteres Haus, das ursprünglich ihr Wohnhaus war und jetzt als Unterkunft für die Arbeiter dient. Ihre Kakaoplantage steht kurz vor der ersten Ernte. Zwei Bungalows wurden von uns eingeweiht, ein dritter ist im Bau. Jetzt sind sie dabei, die ersten zahlenden Gäste anzulocken.
Gewohnte Stabilität
Durch die starke Sonneneinstrahlung wird nie mit voller Kraft gearbeitet. Man geht es etwas langsamer an, stellt sich auch mal in den Schatten und plaudert oder schaut den anderen bei der Arbeit zu. Man muss langsamer machen, um nicht in kürzester Zeit umzukippen. Ich habe es anfangs mit deutscher Produktivität versucht. Das Ergebnis war ein Hitzschlag, der mich einen Tag ans Bett fesselte. Ja, schon wieder. Inzwischen sammle ich sie wie Abzeichen. Zwei allein in den letzten vier Wochen.



Zu Hause sind wir es einfach gewohnt, dass Wasser, Strom und Internet stabil funktionieren. Hier in Kolumbien ist das nicht der Fall, aber man besteht auch nicht darauf, immer vollen Service zu haben. Man ist es gewohnt, dass nicht immer alles zu 100 Prozent funktioniert. Das zeigt sich in vielen kleinen Dingen des Alltags.
Was mir sofort aufgefallen ist, ist, dass hier niemand so richtig zu merken scheint, dass es etwas zu tun gibt. Mir fallen sofort Dinge auf, die man verbessern könnte. Hier werden diese Dinge mit Akzeptanz angegangen. Erst wenn der Leidensdruck sehr hoch ist, kommt wirklich Bewegung in die Sache.



Nach etwa einer Woche kommt plötzlich kein Trinkwasser mehr aus dem Schlauch, der sonst ständig Wasser speit. Es ist die einzige Frischwasserquelle, die uns zur Verfügung steht. Sie wird von einem etwa einen Kilometer entfernten Bach über einen Schlauch gespeist. Da es einige Tage nicht geregnet hat, ist der Bach so ausgetrocknet, dass kein Wasser mehr zu uns kommt.



Die Jungs, die hier ständig leben, scheint das nicht zu stören. Immerhin hatten wir noch ein paar Liter Wasser in einem Kanister. Irgendwann hat sich dann jemand an den Anfang des Schlauches begeben, um zu sehen, was genau das Problem ist. Es stellte sich heraus, dass der Filter etwas verschmutzt war und das Wasser nicht richtig vom Bach zum Filter geleitet wurde. Kurz nach der Reinigung kam das Wasser wieder, nicht mit vollem Druck, aber immerhin genug, um wieder kochen und trinken zu können. Das Ganze wiederholte sich noch einige Male. Irgendwann gewöhnt man sich tatsächlich daran.
Affen im Jungle
Schon in den ersten Tagen haben uns einige Gorillas besucht. Sie scheinen hier öfter ihre Runden zu drehen und nach dem Rechten zu sehen. Daan, der Besitzer, hat sich schon an ihre Besuche gewöhnt. Sie lassen sich von uns Wasser geben und gesellen sich gerne zu uns. So gefährlich, wie sie aussehen, sind sie auf den zweiten Blick gar nicht. Irgendwie sind sie freundlich, wie alle Nachbarn, die ich bisher kennengelernt habe. Sie scherzen und grüßen immer freundlich. Ab und zu sind sie auch in größeren Herden unterwegs, durchstreifen ihr Revier oder hängen im Schatten eines Baumes ab. Wenn einer der großen Affen in der Nähe ist, scheinen sie sich überall zu versammeln. An jeder Ecke steht einer. Manchmal grüßen sie nur, manchmal scheinen sie wissen zu wollen, wo man hingeht. Man hat das Gefühl, dass sie zum Wald gehören. Manchmal sieht man sie gar nicht, weil sie sich so in die Umgebung einfügen. Das eine oder andere Mal habe ich mich erschreckt, weil plötzlich einer mitten auf dem Weg saß.
Von ihrem Geschrei bei Konflikten habe ich noch nichts gehört. Ich habe nur gehört, dass die Konflikte manchmal mehrere Stunden dauern können und dass es auch schon mal Tote gegeben hat.
Meine Reise geht jetzt erstmal weiter in die Wüste im Norden Kolumbiens und dann wahrscheinlich weiter nach Ecuador. Dafür habe ich aber noch keinen Flug.
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