Ich will kein Tourist mehr sein – Wüste Guajira
Zweimal hatte man mich im Voraus gewarnt, vor dem Ruckeln im Jeep, vor den Stunden, die man in der Wüste im Norden Kolumbiens zwischen den Sehenswürdigkeiten verbringen würde. Ich hätte meine Buchung stornieren können. Es hätte mich nur die Anzahlung von 15 Euro gekostet. Aber das wollte ich nicht. Ich wollte alles auf eine Karte setzen und es selbst erleben.
Mit sechs Fremden in einem Auto. Eine Wette, die für mich leider nicht ganz aufgegangen ist. Keiner will mit mir reden, keiner redet miteinander. Der Reiseführer entpuppt sich als reiner Chauffeur, dem man alle Informationen aus der Nase ziehen muss. Für mich ist der Weg zum Ziel das Interessante. Einfach nur zum Ziel gebracht zu werden, ist für mich irgendwie sinnlos.


Die Sonne brennt, ich schieße die obligatorischen Fotos, dann schnell wieder in den Schatten unter Dächern, die oft nur aus Holzbalken und Gestrüpp bestehen, das offensichtlich aus der Umgebung zusammengetragen wurde.


Ich fühle mich krank. Ich fühle mich einsam. Zum Schlafen gibt es wieder, wie im Tayrona Park, Hängematten, die ich diesmal auf den Boden lege. Es erinnert mich fast an das Schlafen in meinem Zelt. Meine Luftmatratze hatte die unangenehme Eigenschaft, Luft zu verlieren. Der harte Boden macht mir weniger aus als das krumme Hängen in der Matte.


Schon am zweiten Tag breche ich seelisch fast zusammen. Ich bin der Einzige in der Gruppe, der die viertägige Tour gebucht hat. Alles ist mir zu viel, die Hitze, die Erschütterungen, die leichte Übelkeit. Ich will weglaufen, aber es geht nicht. Ich nehme all meine Kraft zusammen und halte den dritten Tag durch, bis ich allein an einer weiteren Strandbar abgesetzt werde. Dort will man mir nicht erlauben, auf dem Boden zu schlafen. Ich mache heimlich Pläne, es trotzdem zu tun.


So einsam habe ich mich schon lange nicht mehr gefühlt. Ich weine fast. Ich nehme Kontakt zu Freunden in der Heimat auf. Sie trösten mich. Plötzlich ein Lichtblick. Eine andere Gruppe, der ich schon mehrmals in der Wüste begegnet bin, adoptiert mich. Alle fragen interessiert, alle erzählen interessante Geschichten. Ich fühle mich gehört. Ich fühle mich wohl. Die Einsamkeit schwindet. Am Ende ist alles gut.


Entführung
Der letzte Tag, ein Ausflug zu den Ureinwohnern der Wüste. Morgens sollte ich abgeholt werden. Neun Uhr. Ich telefoniere. Julian hat ein Ohr für mich. Wir reden übers Leben, dies und das. Plötzlich ein Mann. Er sagt, er sei mein Fahrer. Schnell packe ich meine Sachen. Wir fahren los. Wir besprechen das Tagesprogramm. Der Mann kennt die Gegend. Er erzählt von seiner Familie. Von seiner zweiten Frau, die er offenbar für wenig Geld gekauft hat. Die Geschichte ist mir etwas unangenehm. Er lächelt überlegen. Er fühlt sich gut dabei. Plötzlich merke ich, dass ich mein Ladegerät vergessen habe. Wir kehren um.
Zurück am Strand kommt ein anderer Mann auf mich zu. Er hat Gott und die Welt in Bewegung gesetzt, um mich zu finden. Ich bin geschockt. Wer ist denn der Fahrer, mit dem ich vorher im Auto saß? Einer, der eine schnelle Mark machen wollte. Jemand, der die Frechheit besitzt, für die Entführung auch noch Geld zu verlangen. Ich schicke ihn zum Teufel. Seinetwegen habe ich in der Eile auch meine Schuhe vergessen. Meine Weiterreise nur in Badelatschen. Wie sich später herausstellt, ist es ein schwieriges Unterfangen, in Südamerika Schuhe in meiner Größe zu finden.
Ureinwohner der Wüste
Kaum zu glauben, dass in dieser trostlosen Gegend Menschen leben. Die Umgebung erscheint mir so lebensfeindlich, und doch leben hier Tausende von Menschen. Woher sie das Wasser nehmen, kann man sich kaum vorstellen. Viele leben von ein paar Ziegen, die sie entweder selbst essen oder gegen andere Lebensmittel tauschen. Die Ziegen nippen an den wenigen Blättern, die sie an den dürren Sträuchern finden.


Mit unserem Wüstenkreuzer kommen wir immer wieder an Straßensperren vorbei, zwischen zwei Holzpfosten hängende Seile. Kinder bitten uns um Wasser als Zoll für die Durchfahrt. Anfangs erscheint es uns wie ein Spiel. Es ist irgendwie herzerwärmend, wie sich die Kinder über diese milde Gabe freuen. Doch nach dem hundertsten Mal merken wir, dass hier eine Abhängigkeit entstanden ist. Manche Zöllner werden sogar wütend, wenn wir ihnen sagen müssen, dass wir nur noch leere Hände zu bieten haben. Eine alte Frau verflucht uns sogar.
Früher konnten die Menschen in der Wüste gut ohne Hilfe von außen überleben. Doch irgendwann kam der Tourismus, von dem sie zum Teil leben. Sie machen ein wenig Umsatz mit den Touristen, verkaufen kalte Getränke und selbstgemachte Taschen. Die Taschen sind schön, aber ich habe keine Verwendung für sie. Auf ihrem Land wurde auch Kohle gefunden, für deren Abbau sie kaum entschädigt werden. Aber mit den Straßen, dem Dreck und den Schienen, die sie nicht brauchen, müssen sie jetzt leben.

Ich bin hin- und hergerissen zwischen Mitleid mit den Ureinwohnern und Abneigung gegen die Einmischung von uns Westlern. Sollten wir sie nicht in Ruhe lassen? Rauben wir ihnen nicht ihr gewohntes Leben? Wir bringen ihnen die Abhängigkeit. Wir bringen den Müll, der überall liegt. Damit wollen sie nichts zu tun haben. Das ist unser Problem, versucht uns Carina, die Einheimische, mit der wir uns unterhalten, klar zu machen. Wenn es nach ihr ginge, würde sie die Fremden verbannen, damit sie zu ihren ursprünglichen Werten zurückkehren könnten. Doch das ist schwieriger als man denkt. Das Wüstenvolk besteht nicht aus einem Stamm, sondern aus vielen, die ihre eigenen Regeln und Anführer haben. Politik, wie wir sie kennen, ist ihnen weitgehend fremd. Deshalb gibt es auch keinen Konsens über die Situation und den Umgang damit.
Carina gab uns einen Einblick, wie die Ehe in ihrer Tradition abläuft. Grundsätzlich wird sie vom Mann initiiert. Statt sich wie bei uns der Frau vorzustellen, die ihm gefällt, geht er zum ältesten Mann der Familie. Ihm stellt er sein Interesse an der Frau seines Begehrens vor. Der Älteste entscheidet dann, ob er mit dieser Verbindung einverstanden ist. Stimmt der Älteste zu, trägt er den Antrag der Frau seines Begehrens vor. Kann sie sich vorstellen, den Mann zu heiraten, trifft sie sich einige Male mit ihm, um ihn besser kennenzulernen. Sie hat immer das letzte Wort. Sie kann entscheiden, ob sie sich weiter mit dem Mann treffen und ob sie ihn heiraten will. Das ist keine arrangierte Ehe, aber auch keine völlig freie Ehe. Wenn eine Frau Interesse an einem Mann hat, kann sie den Prozess nur über eine Hintertür einleiten, indem sie über andere Frauen eine Art Gerücht verbreitet, dass sie Interesse hat. Wenn der Mann anbeißt, kann er über den Familienältesten das übliche Verfahren einleiten.

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