Huaraz – Zelten auf 4000 Metern
Mein Zelt ist mit einer dünnen Eisschicht überzogen. Immer wieder schrecke ich aus der klirrenden Kälte auf. Ich brauche mehrere Schichten Kleidung, um mich einigermaßen warm zu halten. Ich trage zwei Paar Hosen, ein T-Shirt, eine Daunenjacke, eine Regenjacke und ein Paar dicke Wollsocken und darüber einen Schlafsackliner. Von der Gemütlichkeit, die mir mein Schlafsack bei 10 Grad verspricht, bin ich dennoch weit entfernt.


Mit über 4000 Metern über dem Meeresspiegel ist es nicht nur der höchste Punkt, an dem ich je geschlafen habe, sondern auch der kälteste. In Peru ist gerade Trockenzeit. Ich möchte mir gar nicht vorstellen, wie es ist, wenn es jeden Tag regnet. Der Temperaturunterschied zwischen Tag und Nacht beträgt hier in den Bergen, der Cordilla Blanca, über 30 Grad. Tagsüber muss man aufpassen, dass man sich in der Sonne nicht verbrennt, in der Nacht, die kurz nach 18 Uhr hereinbricht, fallen die Temperaturen schnell unter den Gefrierpunkt.

Spence, der Amerikaner, den ich auf meiner viertägigen Reise von Latacunga, Ecuador, nach Huaraz, Peru, kennengelernt habe, leistet mir auf meiner ersten richtigen Wanderung in Südamerika Gesellschaft. Wir unterhalten uns prächtig, spielen Schach, werfen Frisbees. Das erste Mal werfen wir frühmorgens um 4 Uhr auf einem Parkplatz in Chimbote. Der nächste Bus nach Huaraz fährt erst zwei Stunden später. Die Zeit vergeht wie im Flug. ( Kein Wortspiel beabsichtigt!). Insgesamt bin ich zu diesem Zeitpunkt schon 4 Nächte unterwegs.
Hier in der Bergstadt Huaraz gibt es nicht viele Orte, an denen man ein paar Scheiben werfen kann. Auf Google Maps machen wir einen Sportplatz aus, der sich als Teil einer Schule entpuppt. Das Tor steht offen, der Sportplatz ist besetzt. Wir finden einen freien Hof, der uns zum Diskuswerfen ausreicht. In Windeseile versammeln sich die Schüler auf mehreren Balkonen um uns. Aus drei Stockwerken feuern sie uns an, jubeln, wollen mitspielen. Die Lehrer wissen nicht, wie ihnen geschieht. Erst werden wir auf einen angrenzenden Basketballplatz verwiesen, Minuten später von der Direktorin verbannt. Sie versucht uns in gutem Englisch klar zu machen, dass wir zu viel Aufsehen erregen, die Schüler könnten sich nicht konzentrieren. Sie begleitet uns nach draußen. So etwas ist weder den Schülern noch uns je passiert. Wie schade, dass ich mein Handy für ein Video nicht dabei hatte.


Schon am nächsten Tag sind wir auf unserer dreitägigen Wanderung von Olleros nach Chavin, einer alten Inka-Ruine. Um dorthin zu gelangen, müssen wir bis auf 4600 m auf- und wieder absteigen. Nach ein paar gemütlichen Runden Schach und Cappuccino brechen wir später als geplant auf. Wir nehmen ein Colectivo, einen Neunsitzer, der abfährt, wenn genügend Leute an Bord sind. Wir warten eineinhalb Stunden, bis wir gefragt werden, ob wir das Doppelte, 5 Euro pro Person, bezahlen würden, um ohne Warten auf weitere Fahrgäste loszufahren. Wir willigen ein. Eine Stunde später werden wir am Anfang des Trails mitten im Nirgendwo abgesetzt.


Der erste Tag erweist sich als gemütlich, wenig Steigung, angenehme Temperaturen und ein Weg, der zum Schlendern und Plaudern einlädt. Wir betreten ein Paradies für Wanderer. Nicht umsonst soll diese Gegend eine der schönsten der Welt sein. Ich kann nur erahnen, welche Ausblicke sich mir in den nächsten Wochen noch bieten werden.


Nach 13 Kilometern erreichen wir den ausgeschilderten Zeltplatz. Zwei große Zelte und ein kleines Vierpersonenzelt stehen bereits. Eine vierköpfige amerikanische Familie, die eine Tour mit Eseln, einem Pferd und drei Treibern gebucht hat. Nach der Begrüßung gibt es Nudeln mit Brühe zum Abendessen. Als wir zu Bett gehen, können wir nur erahnen, was uns in der Nacht und am nächsten Tag erwartet.


Ich hatte schon mit dem Gedanken gespielt, mir einen besseren Schlafsack zu kaufen, aber ich wollte erst einmal ausprobieren, ob mein Alter erträgliche Temperaturen gewährleistet. Ich hatte schon alles angezogen, was ich dabei hatte, und trotzdem war mir kalt. Die letzte Schicht habe ich erst spät in der Nacht angezogen, einerseits aus Faulheit und andererseits aus Angst, dabei wertvolle Wärme zu verlieren. Als ich am Morgen mein Zelt aufmachen wollte, stellte ich fest, dass die Plane mit einer Eisschicht überzogen war.
Am zweiten Tag stand uns der Aufstieg auf 4600 Meter bevor. Als die Sonne ihre Fühler über die Berge streckte, wurde uns schnell warm, kurzes Hosenwetter sozusagen. Es treibt uns über Graslandschaften, die auch in dieser Höhe noch für die Viehzucht genutzt werden. Menschen leben hier oben in Steinhütten mit Strohdächern. Ein kleines Solarpanel für ein wenig Licht am Abend scheinen sie alle zu haben. Ich kann nur erahnen, wie es sein muss, so abgeschieden zu leben. Eigentlich kommt man nur auf vier oder zwei Beinen hierher.


Jeder Schritt nach oben scheint anstrengender zu werden. Für uns beide ist es das erste Mal, dass wir in solchen Höhen wandern. 2000 Meter tiefer würde ich an den von massiven Felswänden und fernen Schneegipfeln gesäumten Hängen nur stehen bleiben, um die atemberaubende Aussicht zu genießen oder das eine oder andere Erinnerungsfoto zu schießen. Doch hier in den Bergen Perus ist alles anders. Ich atme schwer und mein Herz pumpt ununterbrochen. Jeder Kilometer erfordert eine Pause, wir setzen uns hin, schließen kurz die Augen. Wo wir uns am Vortag noch ununterbrochen unterhalten haben, herrscht jetzt absolute Stille. Eigentlich ist der Sattel, der die 4600-Meter-Marke markiert, schon seit einer Ewigkeit in Sichtweite, doch es scheint unmöglich, ihn zu erreichen.


Oben angekommen können wir uns nur noch fallen lassen, zum Stehen bleibt keine Kraft mehr. Noch im Halbschlaf bemerke ich, wie plötzlich ein warmer, rauer Lappen mein Gesicht abwischt. Das Lachen des Eseltreibers weckt mich. Dem Esel scheint mein salziges Gesicht gefallen zu haben.


Der starke Wind, der über unsere Köpfe peitscht, treibt uns irgendwann dazu, auf der anderen Seite wieder abzusteigen. Obwohl es bis zum Lager nur bergab geht, quält uns jeder weitere Schritt. Die angenehmen Temperaturen und der Wind lassen uns vergessen, wie stark die Sonne ist. Im Camp angekommen, baue ich erst einmal nur das Innenzelt auf, um mich vor den Fliegen zu verstecken und so in Ruhe etwas Avocado und Brot in mich hineinzubekommen. Nach den ersten Bissen falle ich in Ohnmacht und wache erst eineinhalb Stunden später wieder auf. Erst später merken wir, dass uns die Sonne erschlagen hat. In der folgenden Nacht liege ich 12 Stunden im Zelt, die meiste Zeit bewusstlos. Die Kälte macht mir in dieser Nacht weniger zu schaffen als in der Nacht zuvor. Wahrscheinlich, weil mein ganzer Körper noch von den Strapazen glüht.


Der dritte Tag kommt uns wie ein Spaziergang vor. Ausgeruht von den Vortagen rollen wir auf die 3000 Jahre alten Inkaruinen von Chavín zu. Begeistert von der Baukunst, die die Ureinwohner hier an den Tag gelegt haben, finden wir uns in einem Restaurant wieder, das dem Namen nach italienisches Essen verspricht, aber Buongiorno klingt wohl nur gut. Nach einheimischen Gerichten und einem Eis machen wir uns auf den Rückweg nach Huaraz.


Diese Wanderung war nur ein Vorgeschmack auf das, was ich mir für die nächsten Wochen vorgenommen habe. Nach einer kurzen Akklimatisationsphase in Haraz werde ich mich gleich auf eine noch längere Wanderung von sieben Tagen begeben. Jeder dieser Tage verspricht genauso anstrengend zu werden wie die letzten drei. Aber diesmal habe ich einen besseren Schlafsack dabei, der mich bis -7 Grad warm halten soll.






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