GPT Etappe 4 – Schneegestöber und Flusskreuzung
Ab vier Uhr morgens werde ich jede halbe Stunde vom Krähen der Hähne geweckt. In Aguas Buenas scheint es keine Uhren zu geben. Es kommt mir vor, als ob einer versucht, lauter zu sein als sein Nachbar. Es sind bestimmt zwanzig, die wie in einem Kanon nacheinander in den Gesang einstimmen. Fast wie Hunde, die etwas im Gebüsch entdeckt haben und dann einer nach dem anderen losstürmen, um es anzubellen. Bis auf den Anfangskläffer weiß sicher keiner, was er da eigentlich anbellt.
Abgesehen von meinem Weckruf haben mich auch seltsame Träume heimgesucht. Träume, die mich nicht wirklich ans Ziel brachten. Ich hatte ein unlösbares Problem zu bewältigen. Oft ist es ein Weg, der kein Ende findet. Ich werde aufgehalten. Diesmal waren es technische Probleme, die immer komplizierter zu werden schienen, je näher man der Lösung kam. Ich erinnere mich nicht mehr an das genaue Problem, nur daran, dass ich frustriert war, weil ich nicht zum Ende kam.

Irgendwann hatte ich die Nase voll und packte meine Sachen. Leise, um meine Zeltnachbarn, die Französin und den Belgier, die zur gleichen Zeit den Te Araroa in entgegengesetzter Richtung erwandert sind, nicht aus ihrem ruhigen Schlaf zu wecken. Ich entleere mich meiner Flüssigkeiten, schiebe mir die Zahnbürste in den Mund und fülle meine Trinkflasche. Als ich mich auf den Weg machen will, bemerke ich die verschlossenen Tore, doch im selben Moment eilt mir die Tochter der Besitzer zu Hilfe.

Mein Ziel für die Mittagspause, um der brennenden Sonne zu entfliehen, ist eine Lagune mit einem Wasserfall. Anstatt dem Hauptweg zu folgen, beschließe ich, eine alternative Route zu erkunden. Mit etwas Kartenstudium und ein paar Fragen an die Einheimischen in Aguas Buenas finde ich einen Weg, der mich durch offenes Land führt, bewachsen mit einigen Büschen, den stacheligen, an denen man nicht gerne zu nah vorbeigeht.

Manchmal versperren sie mir den Weg und greifen nach mir. Auf der anderen Seite des Hügels komme ich an einer Kirschplantage vorbei, wo ich mir eine Kostprobe nicht verkneifen kann. Ein Mann, mit dem ich mich später kurz unterhalte, erzählt mir, dass die meisten Kirschen nach China und Europa gehen und ein paar direkt in meinen Magen. An der Lagune pfeife ich mir noch schnell ein paar Wraps rein, da das Restaurant, in dem ich eigentlich frühstücken wollte, noch geschlossen hat.
Schnell noch ein Sprung in das für meinen erhitzten Körper gefühlt eiskalte Wasser, bevor ich im Schatten eine Stunde der Nacht nachhole. Da der GPT kein offizieller Trail ist, sondern von der Community zusammengestellt wird, kam ich diesmal an einer Stelle, die zum Hauptteil des Trails gehört, nicht weiter. Irgendjemand hatte die Unverschämtheit besessen, dort einfach einen Kirschplantage samt Zaun zu pflanzen. Nach einer halben Stunde erfolglosen Herumirrens im Gebüsch abseits der Plantge entschloss ich mich schließlich, umzukehren und es auf der anderen Seite zu versuchen, was mir auch auf Anhieb gelang. So gelang ich wieder auf dem markierten Weg.


Am frühen Morgen holten mich meine Trailkameraden ein und fanden mich gerade beim Packen und schon ging es zu dritt auf den bisher höchsten Punkt des GPT. Solange wir noch unter der Baumgrenze waren, konnten wir uns im Schatten der Bäume flotten Schrittes dem Gipfel nähern. Wir tauschten uns über alles Mögliche vom Te Araroa aus und erzählten von unseren Familien. Yannick und Nolwenn sind auch schon seit über einem Jahr unterwegs und planen, noch ein weiteres Jahr zusammen zu reisen.

Sie haben sich erst ein halbes Jahr vor ihrer Reise in ihrer Wohngemeinschaft kennengelernt. Sie haben sich auf Anhieb so gut verstanden, dass sie das Abenteuer, das ursprünglich nur Yannick geplant hatte, gemeinsam angegangen sind. In der Zwischenzeit sind sie schon zusammen durch ganz Neuseeland gewandert und haben dort in Hotels gearbeitet, um sich etwas Geld für die Weiterreise nach Australien und Südamerika zu verdienen. Jetzt sind sie zusammen (mit mir) auf dem GPT.

An diesem Tag haben wir mehr als 1700 Höhenmeter zurückgelegt. Wahrscheinlich einer meiner Höhenrekorde an einem Tag. Oben auf dem Pass angekommen, gleich neben dem Cerro Zapallo, wurden wir von üppigen Schneemassen überrascht. Da wir alle sehr hungrig waren, haben wir uns erst einmal die Mägen mit ein paar Wraps vollgeschlagen und ein Nickerchen gemacht, bevor wir uns an den verschneiten Abstieg gewagt haben. Yannick hatte schon vorher ausgekundschaftet, wo wir am besten absteigen konnten, ohne nasse Füße zu bekommen.


Sie blieben uns aber nicht erspart, denn wir mussten uns kilometerweit durch die Schneefelder kämpfen. Der Schnee war leicht angetaut. Immer wieder sanken wir ein wenig ein, aber nur so weit, bis der Schnee sich zu hartem Untergrund verdichtet hatte. Unsere Karte zeigte uns keinen klaren Weg. Wie schon zuvor waren wir auch in diesem Abschnitt auf uns allein gestellt.


Der Trail war dort zu finden, wo wir unsere Füße hinstellten. Unser eigentliches Tagesziel war die Lagune, die sich gleich hinter dem Sattel erstreckte. Sie war mit einer dicken Eisschicht bedeckt.


An Baden oder Schlafen war nicht zu denken. Weiterlaufen. Da wir auch bei der zweiten Lagune keine Hoffnung auf einen Schlafplatz hatten, war es für uns überflüssig, weitere Höhenmeter zu überwinden.
Entlang des Bergkammes durchquerten wir abwechselnd ein Meer aus Schnee und Geröll. Immer wieder sanken wir ein. Die Berge in der Ferne zierten die ohnehin schon malerische Landschaft mit ihren schroffen Felsen und den grünen, mit Nadelbäumen bewachsenen Tälern.


Die Wasserflaschen vom Gletscherbach getränkt, beschlossen wir, nicht weiter zu gehen, sondern oben auf dem Grat zu übernachten. Belohnt wurden wir mit einem in magisches Licht getauchten Tal am Abend und einem Sonnenaufgang am Morgen.


Das nicht enden wollende Grün der Laubbäume begleitet uns auf dem restlichen Weg aus dem Tal. Der Duft der Bäume schmeichelt unseren Nasen. Ich liebe den Geruch von Neuwagen. Weicher, teilweise mit Laub bedeckter Boden führt uns immer wieder zum Fluss, der sich immer breiter durch das Tal schlängelt.


Felsen zwingen uns immer wieder die Ufer zu wechseln. Hin und her, auf und ab, nasse Füße als ständiger Begleiter. Nasse Hosen bis in den Schritt. Jeder von uns weiß schon genau, was er in der Stadt, dem kleinen Dorf am Ende dieser Etappe essen möchte. Mich lockte der Lachs, den es am Ende nicht gab.
Es war geplant, eine Etappe wegen zu viel Schnee auszulassen. Der Satellit liefert uns neue Informationen. Wir beschließen, weitere Teile zu überspringen und mit dem Bus viel weiter nach Süden zu fahren. Dorthin, wo Etappe 12 endet. Wir werden sie nordwärts wandern.
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