Slowenischer Hochalpinweg Tag 11 und 12
Tag 11 – Abstieg nach Mojstrana
Von Beginn an stand dieser Tag unter einem eher negativen Vorzeichen: 30 Kilometer Abstieg in knapp fünf Stunden, hinunter ins Dorf Mojstrana, von wo aus der Aufstieg auf den Triglav starten sollte. Geplant waren ca. 2400 Höhenmeter Abstieg – am Ende fühlte es sich jedoch so an, als hätte ich zusätzlich noch 1.000 Höhenmeter im Aufstieg hinter mich gebracht.


Der Weg verlief größtenteils über die Kämme entlang der österreichischen Grenze. Einmal war ich mir mit der Route nicht ganz sicher und bin einer Rinderherden-Strecke nach unten gefolgt. Gespickt mit Schlamm und stinkenden Auswürfen musste ich immer wieder ausweichen. Im Wald hatte die Sonne den nächtlichen Regen noch nicht verdampft, so blieb mir nichts anderes, als mich auf meine Stöcke zu stützen und mit akrobatischem Geschick von Insel zu Insel zu springen. Irgendwann war Schluss – der Trail endete an einem steilen Abhang mit Zäunen. Da umdrehen nicht gerade meine Stärke ist, kämpfte ich mich den mit Grasbüscheln bewachsenen Hang wieder hinauf bis zurück zum eigentlichen Trail.
Die übliche Vorfreude, bald in einem Dorf mit frischem Proviant und leckerem Essen anzukommen, trieb mich zu Höchstform an. So schnell wie möglich stürzte ich mich die Berge hinab. Jeder Schritt brannte in den Oberschenkeln, die Waden fühlten sich an, als würden sie gleich zerreißen, und die Knie hielten sich gerade noch in ihren Scharnieren. Bei Pausen hockte ich mich kurz hin, um sie zu dehnen. Der Sog von frischem Essen und einer Dusche war stärker als der Schmerz und zog mich immer weiter ins Tal.


Einen kurzen Stopp legte ich an der Hütte ein, in der ich eigentlich schon am Vortag ankommen wollte, es aber vor dem Gewitter nicht mehr geschafft hatte. Mein Frühstück fiel sehr spärlich aus: auf einer Wiese verputzte ich die letzten Reste aus meinem Rucksack – zwei Wraps mit etwas Hummus, Paprika und Rotkohl. Kein Festmahl, aber erstaunlich befriedigend. Inzwischen fast so etwas wie mein treuer Begleiter, der mich zuverlässig stützt wie meine Wanderstöcke.
In Mojstrana angekommen, steuerte ich direkt die Touristeninformation an. Ich wollte herausfinden, ob meine neu geplante Route so Sinn ergibt, wie ich sie mir vorgestellt hatte. Sie tat es. Außerdem wollte ich klären, ob ich für den Triglav eine Kletterausrüstung brauche und ob man sie mieten oder kaufen könnte. Mieten ging zwar – war für mich aber keine Option, da ich nach dem Aufstieg nicht mehr nach Mojstrana zurückkommen würde. Kaufen war im ganzen Ort ebenfalls nicht möglich. Die Empfehlung: den Bus in den nächsten Ort nehmen – worauf ich ehrlich gesagt überhaupt keine Lust hatte.

Immerhin: Im Supermarkt bekam ich alles an Proviant, was ich für die nächste Woche brauchte. Danach checkte ich im Hostel ein und bestellte mir eine riesige Pizza und einen großen Salat. Die Pizza dampfte, der Käse zog Fäden, und zusammen mit dem frischen Salat war es nach Tagen voller Müsliriegel und Wraps ein Festmahl. Dazu noch ein alkoholfreies Bier – mein Körper hatte seit Tagen nach Kohlenhydraten und Vitaminen geschrien.
Die heiße Dusche im Hostel war ein wahrer Segen. Der Dreck floss nur so von meinem Körper. In der Dusche lag sogar noch ein Stück Seife, das ich mir kurzerhand eingesteckt habe. Meine Füße musste ich zweimal waschen, um sie wieder einigermaßen gesellschaftsfähig zu machen. Es gibt kaum ein schöneres Gefühl, als satt und frisch gewaschen zu sein.

Weniger erfreulich: Es gab keine Möglichkeit, meine Wäsche zu waschen. Nicht einmal ein Eimer zum Handwaschen konnte mir die Frau an der Rezeption geben. Empfehlung: Im Nachbarort gäbe es einen Waschsalon. Super. Da ich kein sauberes T-Shirt mehr hatte, kaufte ich mir kurzerhand ein Touristen-Shirt – das mir im Nachhinein gar nicht so schlecht gefällt.
Beim Blick aus dem Fenster sah ich dann die Wäsche bei den Nachbarn hängen. Ich nahm meinen Mut zusammen und fragte einfach: „This is a little bit of a strange request. I’ve been hiking for ten days and couldn’t find a laundry service anywhere. Would you mind if I use your washing machine?“ Der Mann lächelte und sagte sofort zu. Als ich eine Stunde später die frisch zusammengelegte, herrlich duftende Wäsche in den Händen hielt, hätte ich ihn am liebsten umarmt. Er wollte sie mir sogar noch in den Trockner stecken – das lehnte ich dankend ab und überreichte stattdessen ein Glas Honig als kleines Dankeschön.

Mein Trip in den nächsten Ort blieb mir zum Glück erspart. Selbst die Busse hätten mich nicht wirklich weitergebracht. Einer mit passender Anzeige erklärte mir, er fahre dort nicht hin – warum er es dann anzeigte, bleibt mir ein Rätsel. Naja, dann eben das altbewährte Daumen raus: Nach drei Autos saß ich im VW eines älteren ortsansässigen Ehepaars. Die Frau sprach perfektes, akzentfreies Englisch, das sie vor fast 50 Jahren gelernt hatte. Am Ende meinte sie mit einem warmen Lächeln: „Falls du in einer halben Stunde wieder hier stehst, nehmen wir dich wieder mit zurück.“
Diese Begegnung hat mir das Herz geöffnet – ein Tag, der mit Hürden begann, endete mit genau solchen Momenten, die schwerer wiegen als jeder Gipfel: eine heiße Dusche, duftende Wäsche und die Freundlichkeit von Fremden.
PS.: Am Ende habe ich kein ganzes Via-Ferrata-Kit gekauft, sondern nur einen Skateboardhelm. Wie sich herausstellen wird, schleppe ich den dann doch nur auf dem Rücken herum, ohne wirklich einen Nutzen davon zu haben.
Tag 12 – Regen, Ruhe und ein Gespräch, das hängen bleibt
Regen den ganzen Tag. Mein Zimmerkamerad ist früh los, um trocken davonzukommen. Ich höre das Plätschern draußen, drehe mich noch mal um – keine Lust auf nasse Füße. Mein Ziel: die Koča na Doliču, Ausgangspunkt für den morgigen Aufstieg auf den Triglav.

Der Weg führt von Mojstrana aus erst durch dichten Wald, immer am Bach entlang. Zehn Kilometer Stille, feuchtes Moos, das gleichmäßige Rauschen des Wassers. Unter den Bäumen ist der Regen erträglich, sie fangen das Meiste ab. Später wechsle ich immer wieder auf kleine Straßen – kein Verkehr, nur das Quietschen meiner durchnässten Schuhe. Ich hab auf anderen Reisen schon Schlimmeres erlebt.


An der Hütte Aljažev dom v Vratih wollte ich eigentlich nur frühstücken und einen Kaffee trinken. Am Ende wurde es ein halber Vormittag. Ich trockne meine Sachen am Ofen, schreibe ein paar Zeilen und beobachte, wie auch die anderen Gäste langsam auftauchen. Niemand hat so richtig Lust, rauszugehen.


Erst am Nachmittag lässt der Regen nach. Ich packe zusammen und mache mich auf den Weg. Der Aufstieg auf der Nordseite des Triglav ist angenehm – technisch leicht, aber stetig steigend. Oben in der Koča na Doliču herrscht entspannte Stimmung. Ich setze mich zu ein paar Wanderern, komme schnell ins Gespräch – vor allem mit Marc, einem Deutschen, der inzwischen in der Schweiz lebt.


Er ist auf der Via Alpina unterwegs, 2000 Kilometer quer durch die Alpen. Im Winter arbeitet er auf Skihütten, im Sommer wandert er. Ein Gleichgesinnter, den man selten trifft. Wir reden über Trails, Ausrüstung, das Unterwegssein – und irgendwann auch über Beziehungen, über Höhen, Tiefen und das Alleinsein. Es ist befreiend, so offen zu sprechen, ohne gemeinsame Vergangenheit, aber mit echtem Verständnis.


Das Abendessen ist köstlich, der Apfelkuchen ein Traum – warm, süß, genau das Richtige nach einem Tag im Regen. Und dann, kurz vor Sonnenuntergang, reißt der Himmel auf. Die Wolken geben die umliegenden Gipfel frei, das Tal liegt im goldenen Licht. Alle stürmen nach draußen, lachen, atmen auf. Nach so viel Grau fühlt sich dieser Moment an wie ein Geschenk.
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