Das Ende der Nordinsel – Auf halbem Weg
Nach fast 4 Jahren habe ich Logan zum ersten Mal wieder getroffen. Wahnsinn, wie die Zeit vergeht. Damals sind wir zusammen einen Teil des Te Araroa auf der Südinsel gewandert. Mein erster Eindruck und die Initialzündung für meine Liebe zum Wandern. Ich hatte noch nie davon gehört, dass jemand ein ganzes Land durchwandert. Geschweige denn, dass es eine ganze Gemeinde gibt, die das macht. Hier auf dem Trail ist es nicht ungewöhnlich, schon einmal einen der bekannteren großen Trails gelaufen zu sein, den PCT, den AT und auch Varianten des Jakobsweges.



Jetzt habe ich schon mehr als die Hälfte der 3000 Kilometer selbst zurückgelegt, und das in nur zwei Monaten. Was vor ein paar Monaten noch wie eine unendlich lange Strecke aussah, ist jetzt ganz normal, mein Alltag. Vielleicht sogar schon zu normal, so dass ich mir einen normalen Alltag gar nicht mehr vorstellen kann, zu einer bestimmten Zeit aufstehen zu müssen, um zur Arbeit zu gehen und Besorgungen zu machen. Wer würde so etwas freiwillig jeden Tag machen wollen?

Die 25 Kilometer, die ich im Schnitt pro Tag wandere, schaffe ich jetzt oft schon locker vor der Mittagspause, je nachdem, wie das Gelände ist.

Bisher bin ich ohne größere Verletzungen davongekommen. Natürlich tun die Füße abends vor Erschöpfung manchmal weh oder ein kleiner Zeh kapselt sich in einer Blase ein, aber ansonsten starte ich jeden Morgen mit voller Kraft und verbringe den Tag mit Wandern und der atemberaubenden Natur.

Wenn man einen eher sitzenden Alltag hat, kann man sich sicher kaum vorstellen, sich so viel zu bewegen und nicht jeden Tag mit Muskelkater oder Schmerzen aufzuwachen. Aber ist es nicht genau das, was unsere Vorfahren getan haben, um zu überleben? Ich kann nur bestätigen, dass unsere Körper dafür mehr als geeignet sind. Bisher habe ich auch nicht allzu viele Geschichten von Wanderern gehört, die aufgeben mussten. Es gab ein paar verletzungsbedingte Ausfälle. Aber meistens mit Rückkehr zum Trail.
Ein Wochenende mit Logan
Bis jetzt hat es wegen des Wetters nicht geklappt, dass Logan mich auf meiner Wanderung begleitet. Da ich jetzt in der Nähe von Wellington bin, ist Logan die zwei Stunden nach Norden gefahren, um mit mir die Umgebung von Wanganui zu erkunden. Er holte mich in Feilding ab, das nun schon zum 16. Mal das schönste Städtchen ist. Die Geschichte scheint zu sein, dass es einen Wettbewerb gibt, an dem jedes Jahr Feilding als einzige Stadt teilnimmt und auch immer gewinnt. Auch eine Möglichkeit, auf sich aufmerksam zu machen.

Nachdem wir in unserem Hotel im Kolonialstil eingecheckt hatten, machten wir eine Sightseeing-Tour. Ein Wahrzeichen von Wanganui ist der Aufzug, mit dem man in das hochgelegene Wohngebiet gelangt. Er gilt hier tatsächlich als öffentliches Verkehrsmittel. Oben erwartete uns dann ein schöner Ausblick vom Turm Saurons.

Am nächsten Tag besuchten wir einen Strand und ein Naturschutzgebiet. Perfekt für einen kleinen Spaziergang und ein Wiedersehen nach vier Jahren.


Es langsam angehen lassen
Ich habe mehr als genug Zeit, um rechtzeitig vor meiner Fähre auf die Südinsel in Wellington anzukommen. Zehn Tage für weniger als 200 Kilometer. Also lasse ich es zur Abwechslung etwas ruhiger angehen. Ich mache länger Pause und bin früher auf der Suche nach einem schönen Platz zum Campen.

Ich genieße es, im Fluss oder im Meer zu baden und mich anschließend in der Sonne zu bräunen. Mit nacktem Oberkörper lasse ich die Sonne zur Abwechslung auf die Stellen scheinen, die sonst eher nach IT-Bräune aussehen. Ich nehme mir die Zeit, ein wenig über den Tag nachzudenken, wie habe ich mich gefühlt, wie haben sich meine Gefühle im Laufe des Tages verändert. War ich morgens noch schlecht gelaunt, wurde es mit jedem Schritt besser.
Generell möchte ich wirklich besser verstehen, woher bestimmte Gefühle kommen, wie sie entstehen und wie ich darauf reagieren kann. Da ich hier nicht so abgelenkt bin wie zu Hause, habe ich viel mehr Raum, mir meiner Gefühle bewusst zu werden und sie besser zu erforschen. Etwas, wofür ich mir vorher nie genug Zeit genommen habe und was ich jetzt sehr genieße. Ich nehme mir die Zeit, mir selbst auf den Zahn zu fühlen, ohne immer alles, was hochkommt, beiseite zu schieben.

Wandern ist sicherlich etwas, das meine Stimmung hebt, auch bei schlechtem Wetter, aber natürlich vor allem, wenn die Sonne mir zusätzliche Energie gibt.
Planlos
Ich finde es übertrieben, wie viel Zeit andere Wanderer in ihre Tages- oder Etappenplanung stecken. Ich begnüge mich damit, grob zu wissen, wo ich die nächste Nacht verbringen werde und für wie viele Tage ich Verpflegung mitnehmen muss. Natürlich kann man sich darüber austauschen, aber ich habe das Gefühl, dass man sich damit oft nur unnötig Stress macht für etwas, was man letztlich nur bedingt in der Hand hat. Wer weiß schon genau, wie eine Etappe wirklich wird oder wie einem das Wetter in ein paar Tagen in die Karten spielt. Mir gefällt mein Ansatz, mehr mit dem Flow zu gehen. Nicht über ein Problem nachzudenken, bevor es überhaupt da ist.

Wenn ich mich auf die Diskussionen über die nächste Etappe eingelassen hätte, hätte ich Essen für mindestens sieben Tage mitnehmen müssen. Davon mindestens zwei, um von Palmerston North nach Tararuas zu kommen, und dann noch einmal fünf, um die Bergkette zu überqueren. Für Josie und mich war klar, dass wir nicht so viele Lebensmittel mitschleppen wollen und lieber noch einmal einen Abstecher zum Supermarkt in Levin machen. Natürlich kostet es Zeit, per Anhalter in die Stadt zu fahren und später wieder zurück. Aber in diesem Fall, mit genügend Zeit im Rücken, war es ein Kompromiss, den wir gerne eingegangen sind.

Auf den Wetterbericht höre ich gar nicht. Es hat bisher immer gut funktioniert, einfach ein bisschen darauf zu hören, was man über schwierige Passagen sagt und wo man besser aufpassen sollte. Der tägliche Wetterbericht würde mein Handeln sowieso nicht beeinflussen. Es juckt mich eigentlich nicht, auch mal einen Tag im Regen zu laufen. Ich nehme jeden Tag, wie er kommt.

Aber wenn andere Wanderer zu viel über die bevorstehenden Strecken diskutieren, habe ich manchmal das Gefühl, dass ich mir mehr Gedanken machen sollte, das stresst mich dann. Oft weiß ich bei der Frage, wo ich übernachten werde oder ob ich auch bis zum Campingplatz soundso laufen werde, gar nicht, dass es diese Möglichkeiten überhaupt gibt. Ich schlafe meistens einfach da, wo es schön ist. Auch wenn mich manchmal fremde Blicke verraten könnten, wenn ich mein Zelt irgendwo aufschlage, wo es vielleicht nicht gerne gesehen wird.

Hiobsbotschaften trüben das Gemüt. Da ich nicht gläubig bin, habe ich mir vorgenommen, mich davon nicht beeinflussen zu lassen. Ignorieren lohnt sich.

Ein bisschen haben wir uns doch nach dem Wetter gerichtet. Die Tararuas, eine Bergkette nördlich von Wellington, ist einer der schwierigsten Abschnitte der Nordinsel. Da heftige Stürme und eine Sichtweite nahe null Meter vorhergesagt waren, beschlossen Josie und ich, diesen Teil zu überspringen und bei besserem Wetter zurückzukommen. Schließlich hatten wir schon genug gute Aussichten verpasst und Zeit hatten wir auch noch.
Theo, ein junger Mann, der uns per Anhalter eingesackt hat, hat mich wieder einmal komplett vom Hocker gerissen. Er hat uns am Straßenrand stehen sehen, aber nicht direkt reagiert. Ich sehe ihn zu Fuß auf uns zukommen. Er fragte mich, wo wir hin wollen – zufälligerweise in den gleichen Ort wie er. Er hat sich die Mühe gemacht, anzuhalten und den ganzen Weg zu uns zurückzulaufen.

Immer wieder komme ich in Gesprächen auf das Thema Freundlichkeit zu sprechen. Es scheint etwas mit uns Wanderern zu tun zu haben, dass uns so viel Hilfe angeboten wird. Wir scheinen eine gewisse Bedürftigkeit und Harmlosigkeit auszustrahlen. Mit einem großen Rucksack auf dem Rücken kann man wohl kaum ein Verbrecher sein und eine gute Geschichte ist auch garantiert.

Wellington ist eine der grünsten Städte, die ich kenne. So grün, dass es sogar Wanderwege mitten durch die Stadt gibt. Nach meinen Erfahrungen in anderen Großstädten hatte ich mich eher darauf eingestellt, endlos an Straßen mit hektischem Verkehr entlang zu laufen. Aber ich wurde eines Besseren belehrt. Der größte Teil des Weges in die Stadt war ein Trail, der sich durch die bergige Stadt schlängelte und schließlich am Meer endete.

Es ist also geschafft. Ich bin am südlichsten Zipfel der Nordinsel angekommen. Wenn ich nur nicht wieder ein Stück zurückfahren müsste, um den Rückstand aufzuholen. Ich hoffe, dass ich in den nächsten Tagen besseres Wetter bekomme. Wenn nicht, dann müssen es eben ein paar Tage ohne Sturmböen auf dem Berg sein. Hoffen wir, dass sich das wechselhafte Wetter hier in die richtige Richtung bewegt. Die härtesten Tage liegen noch vor uns.

Während der Wartezeit in Wellington habe ich noch einige Dinge für die Südinsel organisiert. In den nächsten Wochen kommen einige Abschnitte, wo es keine oder nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten gibt, Lebensmittel zu bekommen. Ich musste herausfinden, welche Abschnitte das sind, für wie viele Tage ich Lebensmittel brauche und wohin ich Pakete mit Lebensmitteln schicken kann. Ich entschied mich für drei Orte, an die ich jeweils ein Paket für 4 bzw. 6 Tage schickte.






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