Bilbao
Bilbao liegt an einem Fluss, der sich seinen Weg durch den Fels geschnitten hat. Die Stadt selbst ist sehr bergig. Was einem direkt auffällt, ist, dass hier behindertengerechter Zugang sehr groß geschrieben wird. Die Stadt selbst hat unheimlich viele Treppen. Ein wenig erinnert sie mich daher an Lissabon. Hier gibt es sicher genauso viele Treppen, die den Zugang zu den Wohngebäuden ermöglichen. Aber, es gibt neben jeder Treppe auch einen Aufzug. Die werden auch nicht nur von Bedürftigen benutzt. Für mich als kleine Bergziege ist es natürlich undenkbar einen Aufzug zu nehmen, nur weil es einen gibt.
Ich bin jetzt schon ein paar Tage hier und habe auch schon einen Großteil der Stadt zu Fuß erkundet. Die Stadt wird durch den Fluss in einen alten und einen neuen Stadtteil unterteilt. Auf der Seite des Alten findet diese Woche ein Blues Festival statt. Das kommt mir ganz gelegen, denn das Nachtleben scheint mir hier ansonsten momentan gegen 23 Uhr zu ende zu sein. (wenn man nicht weiß wo man hin muss)
Bilbao ist eine Stadt bei der viele Stile ineinander verschmelzen. Ich habe nie zuvor eine so große Vielfalt an unterschiedlichen Gebäudetypen so schön miteinander harmonieren sehen. Modernes fließt in Vergangenes, Farben fließen in monotone Fassaden. Manchmal wachsen Gebäude scheinbar ineinander wie ein Tumor aus der Haut.
Für meinen Sprachkurs, der am Montag beginnt, habe ich mich in eine WG mit anderen Mitlernenden eingemietet. Das war direkt am Anfang natürlich sehr praktisch, da ich so direkt einen Begleiter zum Ausgehen hatte. Leider ist Jonathan gestern schon abgereist. Zusammen haben wir eine Brasilianerin in einer Bar kennen gelernt, mit der ich mich gestern zum Ausgehen getroffen hatte. Beinahe wäre das nicht zustande gekommen, da ich zu blöd war am richtigen Ort auf sie zu warten. Und ich habe in meiner Dummheit anfänglich die ganze Schuld auf ihre Unpünktlichkeit geschoben. (blöde Stereotypen)
Da sie ja vermeintlich nicht aufgekreuzt ist, habe ich mich prompt um andere Gesellschaft gekümmert. Über die Couchsurfing App kann man Leute in der Nähe finden, die auch gerne was unternehmen wollen. So habe ich einen Amerikaner kennen gelernt, der 7 Sprachen spricht. Krasser Typ.
Da Isa, die Brasilianerin, von mir das Selbe dachte (zurecht), hat sie sich auch Unterhaltung über eine andere App gesucht und so einen weiteren Brasilianer kennen gelernt. Später haben wir uns dann tatsächlich noch alle zusammengefunden und einen mega Spaß beim Festival. Wenn ich nicht so blöd gewesen wäre, hätte sich nicht so eine große Gruppe ergeben. Schon geil wie es so manchmal im Leben läuft.
Heute hatte ich mir vorgenommen den höchsten Berg gleich in der Nähe von Bilbao zu besteigen. In Komoot wurde es mir als ein siebeneinhalb Stunden Marsch angezeigt (hin und zurück). Wie sich herausstellte, ist es eine sehr beliebte Strecke für die Ortsansässigen. Auf dem Weg haben sich die Leute trotz schlechtem Wetter nur so gelümmelt.
Erst ging es für die ersten beiden Drittel der Strecke auf Feldwegen bis zu einer Hütte hoch. Hier waren auch noch die meisten Menschen unterwegs. Zu meinem erstaunen waren darunter auch viele Läufer, die den Berg hoch und runter gerannt sind. Ja dann mal viel Spaß mit den kaputten Knien in ein paar Jahren.
Der Rest der Strecke war dann nur noch ein Single Trail. Hier ging es dann auch nochmal richtig zur Sache.
Oben angekommen hatte ich dann eine tolle Aussicht von 50 Metern in eine Wolke rein. Ein anderer Wanderer hat mir ein bisschen was von den anderen Strecken rund um den Berg erzählt. Daher habe ich mich entschlossen nicht zurück zu laufen sondern auf der anderen Seite runter zu gehen und den Zug zurück nach Bilbao zu nehmen. Dies führte zu einem sehr steilen aber abwechslungsreichen Abstieg, der mich daran erinnert hat, dass ich mir unbedingt ein paar Laufstöcke zulegen muss.
Normalerweise sind 20 km für mich kein Problem. Doch heute war ich richtig kaputt. Dies mag auch teilweise an nicht passendem Schuhwerk gelegen haben.
Bilbao ist bekannt für das Guggenheim Museum. Meiner Ansicht nach eines der spannendsten Gebäude, dass mir je über den Weg gelaufen ist. Was es allerdings innen zu bieten hatte, war leider nichts im vergleich. Moderne Kunst halt. Manchmal frage ich mich ernsthaft wer das so richtig geil findet. Kaum jemand mit dem ich mich über Kunst unterhalte, kann moderner Kunst etwas abverlangen.
Bilbao liegt nicht weit vom Atlantik entfernt. Mit der U-Bahn kann man innerhalb weniger Stopps bis an eine steile Küste fahren. Mit einer Gruppe aus Mitschülern haben wir uns an einem Volunteer-Projekt zum Müll einsammeln beteiligt. Dabei ging es darum die Wege und Strände zu reinigen. Tatsächlich ist das keine leichte Aufgabe mit einem Greifarm kleine Schnipsel Müll aufzusammeln. Bei der Arbeit hat uns ein älterer Herr applaudiert. Auf Zuruf wollte er uns sogar unterstützen. Ich glaube, dass das Sammeln selbst keine sonderlich große Wirkung hat. Doch die Aufmerksamkeit die wir durch die Aktion erzeugen, hat hoffentlich einen tieferen Einschnitt.
Belohnt wurden wir bei unseren Mühen durch eine fantastische Sicht die Klippen hinab. Immer wieder hat man die Möglichkeit zu kleineren und größeren Stränden hinabzusteigen.
Ballons scheinen an den Haltestellen der Metro ein riesiges Problem zu sein. Immer wieder wird man darauf hingewiesen keine Heliumballons mit ans Gleis zu bringen. Untermalt wurde das nochmal mit einer Ballonskulptur im Guggenheim. Ich möchte nicht die Person sein, die sie auf Hochglanz halten muss.
Nachdem ich und ein paar Freunde von der Schule den Bus nach San Sebastian verpasst hatten, haben Luise und ich uns entschlossen am nächsten Tag zu fahren und dafür eine Wanderung zu machen. Wie sich herausgestellt hat, haben er und ich sehr viele Gemeinsamkeiten. Gerade was die Themen angeht, über die wir uns die letzten Jahre Gedanken gemacht haben, haben wir sehr viel Gesprächsstoff gefunden. Der einzige Unterschied ist, dass er 17 Jahre jünger ist. Ich habe kaum einen so reflektierten Menschen kennen lernen dürfen wie ihn.
Ich bin begeistert wie reflektiert Louis in seinem jungen Alter bereits ist. Er versucht das Leben konstant in vollen Zügen mit Erfahrungen zu füllen. Er ist der, der die Gruppe in Bilbao zusammen hält und zu neuen Taten motiviert. Er hat das Leben bereits zu einem Grad reflektiert, wie ich es zuvor bei noch keinem, sogar viel Älteren, erlebt hab . Viele der Dinge, über die wir bei unserer Wanderung besprochen haben, habe ich selbst erst in den letzten Jahren erkannt. Sein Motto ist „Go crazy!“, was er aber eigentlich meint, ist „live your life to the fullest“ -Carpe Diem.
Erst oben am Gipfel angekommen wurde mir klar, wie es bei ihm dazu gekommen ist. Mich hatte es zuvor gewundert, wie viel er die ganze Zeit über seine Zeit in Island geredet hat, welche Erfahrungen er dort gemacht hat und wie eng die Bindung zu den Menschen ist, die er dort kennen gelernt hat. Doch eine Sache war besonders heraus ragend und zwar, dass ein Mädchen, mit dem er dort sehr eng war, versehentlich von einer Klippe gestürzt ist und dabei zu Tode kam. Das war ein so außergewöhnlicher Moment, dass es ihn für immer verändert hat. Das Bewusstsein der potenziellen Kürze unserer Leben wurde so prominent und so einprägsam, dass es ihn Tag für Tag antreibt aus dem Vollen zu schöpfen.
Ich vermute, dass die Meisten von uns denken noch das ganz Leben vor sich zu haben. Leider
aber oftmals so lange, bis es dann nur noch sehr wenig davon übrig ist. Mir wird es von Jahr zu Jahr bewusster, weil die Zeit gefühlt immer schneller vergeht, dass ich mein Leben mit Leben, Erfahrungen und Begegnungen füllen will. Und zwar mit hochwertigen statt mit leeren Stunden. Wir sprachen über Wendepunkte im Leben, die unser Verhalten nachhaltig beeinflusst haben. Seinen kenne ich jetzt, meinen Wendepunkt gestalte ich jetzt so, wie schon mal vor 12 Jahren tat, selbst in die Hand. Ich gestallte mein Leben wie es mich glücklich macht, nicht wie die Gesellschaft mir vorgibt ein gutes Leben zu leben.
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