Ahipara – Paihia
Tag | Ziel | km | h | gkm |
5 | Broadwood | 32 | 8 | 134 |
6 | Apple Tree Campground | 34 | 8 | 168 |
7 | Puketi Campsite | 27 | 6,5 | 195 |
8 | Kerikeri | 30 | 8 | 225 |
9 | Paihia | 24 | 6 | 249 |
Broadwood
Mein verletzter rechter Fuß ließ ein Weiterlaufen nicht zu. Ein Pausentag war also angesagt. Alle anderen aus meiner Gruppe wollten sowieso eine Pause einlegen, also entschloss ich mich kurzerhand mit ihnen nach Kaitaia zu trampen und dort den Tag mit Essen, Lesen und Einkaufen zu verbringen.
Die Schonung hat meinem Fuß neues Leben eingehaucht. Mit neuer Energie und Kompressionsstrümpfen konnte ich wieder richtig durchstarten.
Die Tristesse am Straßenrand ändert nichts. Sie lässt sich mit einem schnellen Schritt leicht überwinden, das Wetter ist blendend, zu blendend für meine Augen. Die polarisierten Gläser schaffen Abhilfe. Sie sind wie ein Werkzeug, das die Welt um einen herum in HD erscheinen lässt. Alles ist schärfer. Der Effekt macht sich besonders bei Wolkenformationen und Grün bemerkbar.
Entlang der Schoterpiste ziehen die Höfe der Kuhbauern an mir vorbei. Man macht Rast. Gummitiere stehen zum Ausruhen bereit. Ich muss nicht lange warten, bis mich meine Begleiter einholen. Sie wünschen mir einen guten Tag. Ich werde sie erst gegen Abend wiedersehen.
Viele Rinder und Pferde später versammeln sich nach und nach immer mehr Maschierende zum Mittagessen auf einem Spielplatz. Es wird gegessen, erzählt und Frisbee gespielt. Ich verabschiede mich, um meine Reise über den Berg ins saftige Grün allein fortzusetzen. Bald sind Straße und Häuser verschwunden, auch Kühe und Pferde tauchen in dem wilden Schauspiel nicht mehr auf. Nur noch ich und die Wildnis. Die verschiedensten Bäume, die mir bisher völlig unbekannt waren. Der Aufstieg ist mühsam, aber befriedigend.
Wie schon im Trailguide beschrieben, ist der eigentliche Weg unpassierbar, eine Umleitung muss genommen werden. Der Abstieg erfolgt über einen matschigen Feldweg mit vielen rutschigen Stellen. Meine Schuhe sind für diesen Untergrund nicht geeignet. Mir bleibt keine Wahl, ich habe nur diese hier. Wie sich herausstellte, konnte man den Weg passieren, wenn man mutig genug war. Oder von der Umleitung nichts wusste.
Die Brocken in einem Bach lassen mich trockenen Fußes hindurchgehen. Der Schlamm danach macht meine Füße nass. Das schöne Wetter lässt ihn schnell am Fuß verhärten als Zeichen des Abenteuers.
Es ist schön anzukommen, das Zelt aufzubauen, das Essen, bestehend aus zwei Tütensuppen, aufzuwärmen. Dann ist Freizeit angesagt, Schwimmen im Fluss, Lesen in der Sonne, fröhliche Gespräche über die Strapazen der letzten Tage. Alle sind mit ihrer Leistung zufrieden. Wir haben wirklich viel geschafft. Laut Statistik schafft es nur jeder Fünfte bis zum Ziel, das für uns noch weit entfernt ist. Wir sind einer von sieben. So richtig glauben kann die Statistik keiner, so motiviert und unverletzt wie alle noch sind.
Apple Tree Campground
Die gesperrte Strecke führte uns heute 20 km entlang einer mäßig befahrenen Straße. Die Szenerie war malerisch und wurde durch das Brummen eines gelegentlich vorbeifahrenden Holztransporters untermalt. Gut, dass man sie schon von weitem hören konnte und dass sie so freundlich waren, ein wenig auszuweichen. Der harte Asphalt war zudem ein Traum für die Füße. Wir waren alle froh, als wir in dem kleinen Laden am Ende der Straße ankamen und ein leckeres Mittagessen zu uns nehmen konnten.
Danach sind wir die restlichen Kilometer für den Tag in den Wald gelaufen, um auf einer kleinen Lichtung unser Lager aufzuschlagen. Der Tagesablauf ist immer der gleiche, früh aufstehen, Müsli machen, Zelt abbauen, Rucksack packen. Dann werden x Kilometer gelaufen, bis man die Routine rückwärts abspult. Zelt aufbauen, wenn möglich waschen, essen, lesen, mit den Kameraden über unsere Abenteuer reden, Zähne putzen, tippen, schlafen.
Es ist ein einfaches Leben, das dem Rhythmus der Natur folgt. Es ist auch der beste Schlaf, den ich nach einem so harten Tag habe. Nachts ist es kalt, aber ruhig. Genügend Kleidung löst das Problem des Frierens gleich nach dem obligatorischen Gang in den Busch. Die Nächte in einem Hostelbett lassen mich immer schnell zu meinem Zelt zurück streben.
Puketi Campsite
Dieser Abschnitt war das erste richtige Waldabenteuer auf dem Trail. Wir begannen den Tag mit der Warnung, bei schlechtem Wetter nicht die Hauptstrecke zu benutzen, sondern eine viel längere Route zu nehmen. Der Grund dafür waren steile, matschige Hänge und ein Fluss, den wir überqueren mussten. Zum Glück hat es in der Nacht nur wenig geregnet und den ganzen Tag schien die Sonne. Es hat so viel Spaß gemacht, immer wieder durch den Fluss zu waten, um ans nächste Ufer zu kommen. Meine Geländesandalen haben sich wirklich bezahlt gemacht. Ich war froh, dass ich meine Laufschuhe nicht nass machen musste und die Sandalen hatten auch einen guten Grip.
Nach dem Wasserspaß setzten Conner und ich uns an den Fluss, um zu Mittag zu essen und unsere Zelte zu trocknen, die von der Nacht noch nass waren. Ich nutzte die Zeit für ein kleines Nickerchen. Voller Tatendrang stieg ich den Berg hinauf. Ich hatte noch so viel Energie, dass ich sogar das japanische Mädchen vor dem nächsten Camp eingeholt habe. Sie ist bestimmt zwei Stunden vor mir losgelaufen.
Mit Conner bin ich schon viele Kilometer gelaufen. Er ist ein sehr gebildeter Amerikaner mit einem riesigen Wortschatz, den er auch einzusetzen weiß. Er hat eigentlich immer eine gute Geschichte zu erzählen, um einen abzulenken. Mit ihm vergehen die Kilometer wie im Flug.
Kerikeri
Wegen Bauarbeiten auf einem Teilstück des Trails musste die Strecke wieder umgeleitet werden. So musste ich wieder 10 km auf einer wenig befahrenen Straße laufen. Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen, als im Regen auf Asphalt zu laufen. Schön, dass meine Wünsche erfüllt wurden.
An einem Fluss entlang ging es den Rest des Tages. Ein ständiges Auf und Ab durch Ackerland und Wiesen. Immer wieder geht es in den Wald hinein und wieder hinaus, über Holz- und Steinbrücken. Der Weg wird oft durch holzbeplankte Treppen erleichtert, mal rauf, mal runter. Die üppige Flora des Waldes ist ohnehin eine Augenweide. Wenn man Glück hat, erblickt man sogar die wunderbare Vielfalt der Vögel, in den bizarrsten Formen. Andere Tiere trauen sich entweder nicht hinaus oder liegen tot am Boden. Es sind die Europäer, die diese Tiere hierher gebracht haben und sie nun ausrotten wollen. Vögel, die das Fliegen verlernt haben, wie der Kiwi, werden sonst von ihnen gefressen.
Die letzten Kilometer versuche ich mit aller Kraft hinter mir zu lassen. An dem Wasserfall, den ich in der Vorwoche auf der Durchreise besucht habe, halte ich nur kurz an, um mich fotografieren zu lassen. Insta ist wichtig! Schade nur, dass sich heutzutage viele für Fotografen halten, ohne zu wissen, dass man dem Objekt besser nicht die Füße abschneidet. Dabei ist die Bedienung der Smartphones heute so einfach wie nie.
Mit letzter Kraft komme ich in Kerikeri an und esse Burger und Salat. Endlich mal was Anderes als die Wraps und Tütensuppen, die ich sonst als Proviant mitnehme. Da zählen nur Kalorien pro Gramm.
Paihia
Am Anfang dachte ich, dass es bei dieser Reise mehr darum geht, die Einsamkeit zu finden, die mir Zeit zum Nachdenken gibt. Aber wenn man den ganzen Tag allein ist, kann es sehr erfrischend sein, sich für eine Weile mit jemandem zusammenzutun und bei guten Gesprächen die Füße zu vergessen. Gemeinsam erlebt man dann abseits der überwältigenden Umgebung ganz eigene Abenteuer auf intellektueller Basis. Man spricht über die Dinge, die man sich in der Einsamkeit ausgedacht hat und verleiht ihnen durch die Verbalisierung eine ganz andere Qualität. Die Einseitigkeit der eigenen Gedanken führt manchmal erst im Austausch zu neuen Erkenntnissen und oft auch zur Bestätigung, wenn man wie ich mit scheinbar Gleichgesinnten in die gleiche Richtung gegangen ist.
Das Thema Bewusstseinsbildung beschäftigt mich seit einiger Zeit. Herr Precht hat es neulich in seiner Sendung mit einer seiner Gästin (gibt es das Wort?) diskutiert. Es ist schön, dass immer mehr Stimmen in ihrer Einzigartigkeit gehört werden. Egal, wie anders sich jemand von der “Norm” fühlt, in unserer immer liberaler werdenden Gesellschaft ist es endlich möglich, auf unserer bunten Landkarte sichtbar zu werden. Es ist nun möglich, Probleme anzusprechen, die bis vor kurzem nicht als solche anerkannt wurden und auch heute noch nicht von allen anerkannt werden. Nur weil man sich vielleicht nicht in die Situation des “Anderen” hineinversetzen kann, heißt das nicht, dass sie nicht real ist. Ich denke, mehr Bereitschaft zur Toleranz auf beiden Seiten hilft uns allen, aneinander zu wachsen. Solange diese Sensibilisierung nicht mit Radikalisierung oder Empörung einhergeht.
31.05.2023 – Fehler glattgebügelt und Text etwas umstrukturiert. Inhalt bleibt gleich.
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