Schlammige Überquerung
The Farm
Eigentlich war geplant, mit dem Kajak die Bucht vor Paihia Richtung Süden zu durchqueren. Aber alle Kajaks waren schon ausgebucht. Zwei Tage warten wollten wir uns leider nicht antun. Also setzten wir mit der Fähre nach Russel über und wanderten von dort aus. Wieder einmal konnten wir uns auf einige Kilometer Straße freuen. Ich habe es versucht, konnte aber niemanden finden, der mich mitnehmen wollte. Also bin ich die ganze Strecke gelaufen. Nach zwei Stunden war ich endlich im Wald, wo es dann auf einer Schotterpiste weiterging. Eine Kuriosität am Wegesrand war ein Auto, das nicht besonders gut geparkt war.
Unser heutiges Ziel ist eine kleine Farm, die ihren Garten gegen eine Gebühr von 25 Dollar für Zelte zur Verfügung stellt. Es ist ein schöner, gemütlicher Ort, an dem man sich noch ein wenig in der Sonne entspannen, ein Buch lesen, mit den Hunden spielen oder einfach die Umgebung bei einem Spaziergang erkunden kann.
Nach unserem Pausentag mischen sich wieder neue Mitstreiter unter uns. Einige aus unserer Startgruppe sind dafür auf der Strecke geblieben. Ich bin gespannt, wie lange es dauert, bis alle meine Weggefährten einmal ausgetauscht sind. Natürlich hat jeder einen anderen Zeitplan, dem er folgt, aber alle paar Tage treffen sich immer wieder die gleichen Leute an den unterschiedlichsten Orten, je nachdem, wer wann wie viele Pausentage einlegt.
Makeshift Campground bei Helena Bay
Die Farm hat sich als kleines Refugium des Friedens erwiesen. Einige Fremde finden hier Arbeit gegen Kost und Logis. Junge Leute, die das billige Abenteuer suchen. Wir haben dort einen Ort der Ruhe und Entspannung gefunden. Die Einrichtung bot einen selbstgebauten Fitnessraum mit angrenzender Schaukel, die mir und Connor viel Freude bereitete.
Auf der Suche nach einem kleinen Abenteuer abseits der Strecke fanden Connor und ich es auf den Hügeln hinter der Farm. Wir machten uns beide schnell auf der Hängematte bereit und dann ging es los. Wir kletterten auf einige Hügel mit Kühen, von denen aus man die ganze Farm überblicken konnte.
Angetrieben von unserem Entdeckerdrang wanderten wir immer weiter ins Hinterland, von Hügel zu Hügel, vorbei an einer Weide mit domestizierten Pferden, die um Streicheleinheiten baten. Einige ließen sich sogar aus der Hand füttern.
Zurück von unserem Ausflug erkundete ich mit Giancarlo die hauseigene Bibliothek. Hunderte von Büchern warteten darauf, von uns gelesen zu werden. Neben vielen zeitgenössischen Büchern gab es auch viele alte Schinken. Ein Buch mit dem Titel “Book of Lists” fiel mir besonders ins Auge. Wie der Titel schon versprach, war es ein Buch voller Listen mit allerlei Kuriositäten. Ich fing an, die Listen der Wörter zu lesen, die ihren Weg aus anderen Sprachen ins Englische gefunden hatten.
Nach einem weiteren Tag auf der Straße geht es steil hinauf in die Berge. Ein schmaler Pfad schlängelt sich in kurzer Zeit den Berg hinauf und raubt mir den Atem. Zum einen wegen der Anstrengung, die mir alles abverlangt, zum anderen wegen der Aussicht, die sich mir auf die Küste bietet. Der Aufstieg bremst meinen sonst so flotten Schritt. So schaffe ich die wenigen Kilometer in zwei Stunden und erreiche als erster den für uns reservierten Campingplatz. Heute bin ich viel müder als sonst nach einer ähnlichen Strecke.
Es ist interessant, sich mit den Menschen zu unterhalten, die einem hier so über den Weg laufen. Die jungen Leute sind oft zum „Work and Travel“ hier und kennen es noch nicht, wie ich, einen Job hinter sich zu lassen. Die meisten “Älteren”, in meinem Alter, haben ihren Job hinter sich gelassen und wissen, wie ich, noch nicht so recht, wohin sie nach dieser Reise zurückkehren (wollen). Gemeinsam ist uns allen, dass wir uns im Moment wenig Gedanken darüber machen, was die Zukunft bringen könnte. Einige haben eine grobe Richtung. Sabrina und Sebastian wollen nach der Wanderung nach Australien, um dort wieder Fuß zu fassen.
Gestern kam ein 18-jähriges Mädchen zu mir, das gehört hatte, dass ich meinen Job und meine Wohnung in Deutschland zurückgelassen habe und noch keinen Plan für die Zukunft habe. In ihrem jungen Alter hat sie mich um Rat gefragt, was sie mit ihrem Leben anfangen soll. Sie hat keine Ahnung, was sie lernen oder studieren soll. Der einzige Rat, den ich ihr wirklich geben konnte, war, dass sie mit ihrer Entscheidung, erst einmal für ein Jahr nach Neuseeland zu kommen, genau richtig liegt und sich schon etwas ergeben wird. Einen besseren Plan habe ich auch nicht.
Etwas, das ich kürzlich gelesen habe, besagt, dass wir mit unseren Entscheidungen im Allgemeinen viel weniger Einfluss auf unser Leben haben, als uns unser Verstand einredet. Wenn ich so auf meine Vergangenheit zurückblicke, haben viele andere Faktoren mein Leben beeinflusst, aber ganz sicher nicht meine Entscheidungsfähigkeit. Natürlich habe ich damals viele Bewerbungen geschrieben, aber dass ich von der BASF genommen wurde, war eher dem Zufall zu verdanken, dass ich dadurch nicht in einer kleinen Kaschemme gelandet bin, sondern in einem weltweit operierenden Unternehmen mit all den Möglichkeiten, die sich mir dadurch eröffnet haben. Ich möchte mir gar nicht vorstellen, wie anders mein Leben verlaufen wäre, wenn ich nicht in die weite Welt hinausgegangen wäre. Es wäre interessant zu sehen, was wäre, wenn…
Sandy Bay
Ich kann nicht genau sagen, was mich angetrieben hat. Ich bin meinem morgendlichen Ritual gefolgt und habe auf meinem Zeltplatz alles fein säuberlich eingepackt. Leider war ich an diesem Tag nicht nur auf dem Zeltplatz, sondern auch auf der Veranda der Farm. Dort habe ich mir die Zehen geputzt und Frühstück gemacht. Erst einen Tag später bemerke ich, dass eine meiner Taschen fehlt. Ein kurzer Anruf bestätigt mir, dass meine Reise vorerst in die entgegengesetzte Richtung geht.
So kann man auch Kilometer machen. Ich habe zwei Stunden gebraucht, um aus dem Busch herauszukommen. Unten habe ich zum Glück schnell jemanden gefunden, der mich den Rest des Weges bis zur Farm mitgenommen hat. Es war ein Kerl mit seinem aggressiven Hund, der mich fast gebissen hätte. Er hat mich die ganze Fahrt über mit seinen Geschichten unterhalten. Er hat mich nicht wirklich zu Wort kommen lassen. Anscheinend hat er 19 Geschwister und die eigentliche Besitzerin des Hundes wurde vor kurzem erstochen.
Um wieder auf den Trail zu kommen, trampte ich die gesamte Tagesetappe, die größtenteils nur aus Straßenabschnitten bestand, bis ich Connor am Straßenrand entdeckte und mich ihm anschloss.
So gut wie an diesem Tag hat das Trampen noch nie funktioniert. Ich bin bestimmt 80 km mit 4 verschiedenen Fahrern um den Trail gefahren und wir haben zusammen kaum länger als 15 Minuten gewartet. Ich denke, das kann man auch als Erfolg verbuchen.
Ich bin froh, dass sich der Tag in unserem Strandparadies so verändert hat. In der Tasche waren all meine wichtigen, aber wenig benutzten Dinge, wie mein Reisepass, meine Powerbank, mein Notsignal und viele andere Kleinigkeiten, die einem mal den Hals retten können, aber hoffentlich nie müssen.
Pataua
Eigentlich war ein kurzer Tag geplant, um unseren Füßen etwas Ruhe zu gönnen. So liefen wir schnell zum nächsten Ort am Strand, um ein paar überteuerte Einkäufe für den nächsten Tag zu erledigen und dann mit dem Boot über das Wasser zu fahren.
James, der Besitzer des Bootes und einer Unterkunft auf der anderen Seite, überraschte uns mit einer ziemlich beeindruckenden Präsentation, in der er detailliert erklärte, wie die bevorstehenden Überquerungen mit der Ebbe und Flut abgestimmt werden müssen.
Das führte dazu, dass wir noch am selben Tag aufbrachen, um die beiden anstehenden Querungen zu Fuß machen zu können. Wären wir erst am nächsten Morgen aufgebrochen, hätten wir eine lange Umrundung der Bucht machen müssen.
Keiner von uns hatte wirklich damit gerechnet, was für eine Schlammschlacht die beiden Durchquerungen der Mangrovenwälder werden würden. Zwanzig Zentimeter tief steckten unsere nackten Füße in dem nicht gerade angenehm riechenden Schlamm. So unerwartet es für uns war, so viel Spaß hat es gemacht, diese Etappe gemeinsam zu bewältigen.
Angus, den wir eigentlich schon ein paar Tage hinter uns gelassen hatten, hatte am späten Abend (20 Uhr) noch seinen Auftritt auf dem Campingplatz. Er hat ein paar sehr lange Tage hinter sich, einige davon aus Wollust, andere aus Wassermangel. Trotzdem ist es schön, den fröhlichen Australier wieder bei uns zu haben.
Ernährung
Neuseeland macht es einem nicht leicht, sich gesund zu ernähren. Das Essen, das man hier in Cafés und Restaurants bekommt, ist zwar lecker, aber irgendwie nicht wirklich nahrhaft. Alles ist entweder in Burger verpackt oder frittiert. Salat steht oft gar nicht auf der Karte oder muss extra bestellt werden. Gemüse scheint für die Kiwis ein Fremdwort zu sein. Im Supermarkt ist das Essen sehr teuer. Oft ist es günstiger, irgendwo essen zu gehen. Das merkt man leider auch an der Bevölkerung.
Ich versuche mich so gut wie möglich mit frischem Gemüse zu versorgen, wenn es welches gibt. Oft gibt es in kleinen Ortschaften nur einen Tante Emma Laden. Dort gibt es aber selten frisches Gemüse.
Aus Gewichtsgründen kann ich auch nur begrenzt frische Lebensmittel mitnehmen. Alles, was Wasser enthält, ist schwer. Und Wasser muss ich auch immer in ausreichender Menge dabei haben. Ich laufe immer mit ca. 3 Litern Wasser los. Meistens sind sie leer, wenn ich abends ankomme.
Ich fühle mich jetzt erschöpfter und kann mich auch schlechter konzentrieren als noch vor ein paar Tagen. Das kann natürlich auch an der Anstrengung liegen. Aber so habe ich das noch nie erlebt. Meine Wanderkollegen nehmen fast alle Multivitamintabletten. Bei nächster Gelegenheit werde ich mir auch welche besorgen. Mal sehen, ob das einen Unterschied macht. Generell bin ich der Meinung, dass ich keine Nahrungsergänzungsmittel brauche, da ich durch meine ausgewogene Ernährung alle wichtigen Mineralien und Vitamine bekomme und keine künstlichen Zusätze brauche. Aber bei der Ernährung hier auf dem Trail würde es mich nicht wundern, wenn einige Dinge zu kurz kommen.
Whangarei Heads
Der gleiche Schweinerei wie am Vortag stand uns wieder bevor. Diesmal mussten wir extra früh aufstehen, um rechtzeitig vor der Flut auf der anderen Seite der Bucht zu sein.
Unschönes Wetter stand uns bevor. Schnell versuchten wir den nächsten Ort mit einem Dach über dem Kopf zu erreichen. Nach dem Matsch ging es weiter über eine Weide mit Kühen, die sich sehr für uns interessierten, vorbei am Zaun eines verärgerten Bauern, dem es wohl nicht gefiel, dass sich Fremde hier herumtrieben, hinauf auf einen Berg, der uns nur über einen grünen Abstieg zum ersehnten Strand führte.
Manchmal muss ich für meinen Eigensinn ein paar Schritte mehr gehen. Am Strand hätte ich mich durch eine Strömung kämpfen müssen. Die geringe Lust, die Schuhe auszuziehen, brachte mich auf die Idee, die Bucht hinaufzulaufen, um sie zu umgehen. Ergebnis, mit zusätzlichen Kilometern zurück, Schuhe aus, riesiger Abstand zu den anderen. Eigentlich habe ich mich nur kurz über mich selbst geärgert. Eigentlich haben mir die Überquerungen Spaß gemacht, ich war nur faul.
Am Ende des Strandes, nach ca. 20 km, hatte ich wieder zu den anderen aufgeschlossen. Generell plane ich meine Strecke nicht wirklich. Ich habe zwei Apps (The Trail App, Far Out), die mir mit Markierungen die Richtung zeigen. Es gibt auch Kommentare, die einem ein paar Tipps geben. Außerdem gibt es noch die Trail Notes, die sehr detailliert alle Abzweigungen, Unterkünfte und Umleitungen beschreiben. Ich verlasse mich meistens ein bisschen auf die anderen, die die Notes lesen und mich dann über das Wichtigste informieren.
An diesem Tag hatte ich mich auf Angus verlassen. Er meinte, es seien nur noch 10 km. Das wären gemütliche zwei Stunden gewesen, wenn da nicht der Höhenunterschied von über 500 Metern gewesen wäre. Das Wetter war sehr schlecht und so liefen wir die ganze Zeit durch einen dichten Nebel, der uns jegliche Sicht nahm. Es war ein harter Aufstieg und ein mindestens genauso harter Abstieg. Immer wenn wir dachten, es geht nicht mehr höher, kamen wieder ein paar Stufen oder ein weiterer matschiger Anstieg. Manchmal war es so glitschig, dass wir nur so durch die Gegend rutschten. Am Ende waren wir fast viereinhalb Stunden unterwegs.
Ruakaka River Camp Site
Was als kurzer Tag geplant war, um sich ein wenig von den Strapazen des Vortages zu erholen, wurde zu einem 20 km langen Marsch. Hier kommen wir wieder auf das Thema der ungelesenen Trail Notes zurück. Weder Conner noch ich hatten eine Ahnung, wie wir durch die nächste Bucht kommen sollten. Auf der Karte sah es nach einer einfachen Durchquerung oder Umrundung aus. Leider stellte sich heraus, dass die Durchquerung nur bei Ebbe möglich war. Wir versuchten die Umrundung, mussten uns aber leider durch dicht bewachsene Ufer, tiefes Wasser und mit Magroven bewachsene Sümpfe kämpfen, um dann festzustellen, dass es sich um eine Flussmündung handelte, die umrundet werden musste. Von oben durchnässt durch den sintflutartigen Regen und von unten mit Salzwasser durchtränkt, mussten wir einen Umweg von ca. 10 km in Kauf nehmen.
Schon lange vor unserer Ankunft im Camp war uns klar, dass unser Aufenthalt nicht nur auf eine Nacht beschränkt sein würde.
26.07.2023 – Fehler glattgebügelt und Text etwas umstrukturiert. Inhalt bleibt gleich.
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