Ein Drittel des Te Araroa – 1000 km
1000 km
Es ist schon ein wenig surreal, bereits ein Drittel, 1000 km, der Wanderung gewandert zu sein. Wir haben den 90 Mile Beach mit seinen endlos erscheinenden Kilometern der Monotonie gemeistert. Wir sind knietief durch Matsch und Schlamm gewartet, um über Berge und an andere Ufer zu kommen. Wir hatten das Wasser des Öfteren bis zu den Knien, zur Hüfte und sogar bis zum Hals stehen, welches nicht nur von oben, sondern auch ganz oft von unten kam. Rückblickend sind wir unendliche Kilometer an Straßen und Schotterpisten entlang gelaufen, um zum nächsten atemberaubenden Abschnitt zu gelangen. Wir haben Städte durchquert und uns an zu viel mitgenommenem Essen den Buckel krum getragen. Uns sind täglich fantastische Menschen begegnet, die sich nicht zu schade waren, uns Hilfe anzubieten, selbst ohne danach gefragt zu haben. Wir haben geflucht und geweint, um später voller Erleichterung und Stolz auf das von uns Verbrachte zurückzublicken.
Komplett aus
Irgendwie konnte ich an einem Nachmittag die Augen nicht mehr aufhalten. Zuvor hatte ich noch mit mir gerungen weiter zu laufen, als ich mich wenige Momente später in einem trancehaften Zustand wiederfand, gerade gegessen, mit einem Buch in der Hand, ertappe ich mich wie mir die Augen zufallen.
Normalerweise plagt mich auf dem Trail tagsüber keine Müdigkeit, nicht so, wie zu Hause, wo ich mich normalerweise jeden Tag ein wenig hinlege, um mich auszuruhen, vermutlich mehr aus langer Weile, als aus tatsächlicher Müdigkeit. Langeweile bedeutet für mich ein repetitiver Alltag, der Mangel an neuen Impulsen, Monotonie bei der Arbeit, wie auch in der Freizeit, bei welchen ich mich selbst nicht genug vordere und so der Stumpfheit meines Daseins erliege.
Auf dem Trail wird nachts geschlafen, in der Regel zwischen acht und zehn Stunden. Mit dem Untergang der Sonne bis sie wieder am frühen Morgen aufgeht und mich mit ihren Strahlen aufweckt. Mir bleibt am Abend kaum mehr die Energie etwas zu lesen oder gerade noch so viel, um das tagsüber erlebte zu reflektieren und niederzuschreiben. Tagsüber habe ich ein abwechslungsreiches Programm. Es gibt immer etwas Neues zu entdecken und neue, noch unbekannte Ziele zu erreichen. Kein Tag ist dabei wie der andere, auch wenn das Tagesprogramm in der Theorie immer dasselbe ist.
An dem besagten Tag war ich zeitig mit dem mir vorgenommen fertig, ich hatte mich verausgabt, um in Rekordzeit die Spitze des Berges zu erklimmen, mit meinem Rucksack, der zuvor noch nie so schwer war. Ich habe viel zu viel Essen dabei, oder Trainingsgewicht, wie ich es gerne nenne, dicker Rucksack macht dicke Beine.
Weiter zu gehen hätte bedeutet, den potenziell schwereren Abstieg zu wagen. Bleiben bedeutete den Nachmittag zur freien Verfügung zu haben, Schlaf und Erholung, um mich dann die kommenden Tage wieder strapazieren zu können. An dem Tag gab es nur noch die Hütte, die Menschen, die mit mir gestrandet sind, mein Buch und mein Bett, zusätzlich noch eine Menge Gewichtsreduktion in Form von selbst aus meinem Vorrat zubereiteten Gerichten.
Die erste DOC Hütte auf diesem Trip
Bei meiner letzten Reise nach Neuseeland haben Logan und ich oft in DOC Hütten geschlafen. Auf der Südinsel stehen viel mehr zur Verfügung als hier im Norden. Nach dem steilen Anstieg Pahautea hinauf sah es nicht so aus, als ob es bald aufhören würde zu regnen.
Die Hütten haben in der Regel alles, was man für eine trockene Übernachtung braucht. Diese im Speziellen hatte Betten für 20 Personen und noch einmal Zeltplätze für ebenso viele. Es gab einen großen Aufenthaltsraum mit einer Küche, in der man das selbst mitgebrachte Essen und Gas, Mahlzeiten zubereiten kann. Regenwasser steht über Küchenarmaturen bereit. Manche trinken es so, andere kochen es ab oder filtern es. Ich gehöre zu den Ersteren. Ich filtere lediglich Wasser aus Flüssen, da man nie ganz sicher sein kann, wie sauber es ist, egal wie klar es aussieht, besonders, da drumherum überall Vieh gehalten wird. Die Exkremente finden doch irgendwie ihren Weg in die Flüsse. Jede Hütte hat auch ein Plumpsklo mit einer windbetriebenen Lüftung. In manchen Hütten gibt es sogar Toiletten mit einer Aussicht über die Berge.
Bezahlt wird die Unterkunft über einen Hüttenpass, den man sich online besorgen kann. Kontrolliert wird das allerdings nicht, es ist nämlich keiner da, der es kontrollieren könnte. Es gibt Tagestickets oder Monats-, Halbjahres- oder Jahrestickets.
Pete – Retter im Regen
Ich wurde vor dem Wetter gewarnt und zu meinem Verdruss hatte der Wettervorschlag zur Abwechslung mal recht. Den Berg runter bis rein in die Mittagspause war mir das Wetter hold, doch dann begann es aus Eimern zu schütten und erlaubte mir kaum mehr eine Pause für mehr als 30 Minuten. Mein gesamtes Equipment wurde an dem Tag auf Wasserfestigkeit getestet. Es hat den Test nicht bestanden. Ich wurde bis auf die Unterhose durchnässt, mein Rucksack gab den Wassermassen nach und sogar die Drybags haben ihren Dienst teilweise aufgegeben. Ihr hattet genau eine Aufgabe, Drybags! Mein Handy, ansonsten wasserdicht, berichtete mir, dass es den USB Port bis auf einkehrende Trockenheit deaktiviert. Eine schlechte Nachricht, wenn der Akku nach neuem Saft bittet.
Der große Retter des Tages ist Pete, der mir bei diesem Wetter Obdach geboten hat, meine Wäsche gewaschen hat und mich alles vor seinem Kamin zum Trocknen aufhängen lässt. Pete ist ein Mann mit einer Mission. Er ist dafür verantwortlich, die jungen, neu gepflanzten Bäume in seiner Umgebung vor dem frühzeitigen Tod zu retten. Bäume, die dem Klimawandel entgegenwirken sollen.
Kein Berg ist wie der andere, sie unterscheiden sich im Profil, in der Breite, in ihren Ausschweifungen. Was die von uns bestiegenen Berge gemeinsam zu scheinen haben, ist der Dunst, der sie umhüllt, die Wolken, die jegliche Aussicht in die Ferne verwären. Was bleibt ist das Hier, der Auf- und der Abstieg, voller Konzentration, auf das, was in nächster Nachbarschaft liegt, die Wurzeln, über die ich stolpere, der tropische Farn, der die Haut kitzelt, wenn man an ihm vorbei streift. Man konzentriert sich auf den Matsch, in dem man mal stecken bleibt und mal ausrutscht, nur um sich gleich wieder mit den Wanderstöcken zu fangen, weiter auf der Suche nach dem nächsten Schritt.
Ab und zu blickt mir die Sonne durch das palmenartige Geäst entgegen und erleuchtet für ein paar Momente die Szenerie um mich herum, ein Lichtblick auf ein Ende des hoffentlich nicht mehr ewig währenden Graus, das sich dem Himmel empor streckt. Wenn der Himmel mich mal nicht mit Nässe umspült, bin ich bestrebt, mir den Regenschutz zu entfernen, um meiner Haut das Trocknen zu erlauben. Durch die Schutzschicht staut sich das Wasser von innen wie auch von außen an.
Bei Pausen nutze ich jeden Strahl, den ich ergattern kann, um nicht nur mich und meine Kleidung zu trocknen, sondern auch das über Nacht durch Kondensation und Regen feuchte Zelt. So verdopple ich des öfteren noch die Male, die ich es aus- und einpacke.
So herrlich die Umgebung, um mich herum, auch sein mag, so stark muss der Wille auch bleiben, um nicht unter den Widrigkeiten der Elemente zu brechen. Ausschau nach einem Unterschlupf im sonst menschenleeren Gelände, eine Überdachung, ein Stall, irgendetwas, was nicht der freie Himmel ist, stoße ich plötzlich auf eine orange leuchtende Kontur am Horizont, ein Mensch, von dem ich glaube er sei ein Bauer, der es mir versagen würde, im Stall seiner Kühe zu nächtigen. Gedanken, die einem strapazierten Kopf entspringen. Je näher ich der Gestalt komme, desto klarer wird mir, dass es sich um einen Jäger handelt. Ich grüßte ihn. Er nahm das Gewehr herunter und erwiderte meinen Salut. Auf die Frage nach Zuflucht, gewährt er mir Einlass in sein temporäres zu Hause, wäscht meine Wäsche mit seiner, lässt mich meine Sachen vor dem Kamin trocknen und bietet mir eine heiße Dusche an. Er ist froh Gesellschaft zu haben, verbringt die Tage meist allein. Wir trugen beide etwas zum Abendmahl bei, er das selbst erlegte Fleisch, ich, das seit Tagen mit mir herum geschlepptes Gemüse und die Linsen. Ich koche und er spült im Nachhinein ab. Ich helfe ihm sein Fernrohr mit dem Handy zu verbinden, er lässt mich eine der Nachtkammern wählen. Der Pfad versorgt uns. Manchmal ist es ein Engel wie Pete, ein andermal findet man einfach ein Zelt, wenn das eigene kaputt vorgefunden wird.
Pete erklärt mir alles zu seinem Job. Die Firma, für die er arbeitet, kauft Farmland und pflanzt darauf Bäume. Bäume, die zum CO2 Ausgleich beitragen. Bäume, für deren Erhalt vom Staat Geld überwiesen wird, und er verlangt es zurück, wenn diese gefällt werden. Bäume, die vor dem Abnagen durch invasives Wild geschützt werden müssen, bis sie aus der Entfernung von Fressfeinden gewachsen sind. Pete kümmert sich um die Tiere, die eh nicht in dieses Land gehören, unfreiwillige Zuwanderer, zielsicher, mit ruhiger Hand.
Der Pfad versorgt uns mit allem was wir brauchen
Unterschlupf zu finden ist eine unserer täglichen Aufgaben. Jedes Mal aufs neue, muss man sich die Frage stellen, ob man sein Zelt aufstellt oder man sich hinter einer verschlossenen Tür die Erlaubnis zum bleiben sucht, ob man dafür zahlt oder auch nicht. Manchmal findet man, ohne wirklich danach zu suchen. Wir wollten eigentlich nur ein Vordach, das uns fürs Mittagessen etwas Ruhe vor dem Regen gewährt. Gefunden haben wir ein leerstehendes Haus. Ursprünglich wollten wir nur zur Mittagspause bleiben, doch überwunden wir unsere anfängliche Paranoia schnell. Wir entschieden, nach und nach, gleich das ganze Haus an uns zu reisen, in dem wir letztendlich die ganze Nacht über den Regen ausharrten. Wir machen es uns in der Hängematte gemütlich und verbringen den erst halb aufgebrauchten Tag damit, ein Bad zu nehmen, Essen zu bereiten und zu verspeisen, sich etwas kreativ zu betätigen und am Ende auch zu schlafen. Josie bereitet einen Kaffee und ich spiele etwas Musik, über die wir uns dann in länge austauschten, Konzerte, bei denen wir waren, und den Spaß, den wir dort hatten. Wir sprechen über Menschen und Religionen, über das, was uns oft zwischenmenschlich, in dieser modernen Welt der konstanten “Verbindung”, abhanden gekommen zu scheinen ist.
Fahrrad
Auch wenn wir auf einer Wanderung sind, bedeutet das nicht, dass man sich strikt an die Füße halten muss. Wir sind zuvor schon mit dem Kajak gefahren und werden es auch nochmal in einer Weile machen. Dieses Mal sind wir einen Abschnitt, der Timber Trail, mit geliehenen Mountainbikes gefahren. Zwei Tage und über 80 km lang sind wir Berg hoch und Berg runter, durch Pfützen gefahren und über kleine Rampen gesprungen. Alles wurde für uns organisiert, unsere Rucksäcke zum Ende des Tagesabschnitts gefahren. Die Fahrt war eine willkommene Abwechslung mit hohem Spaßfaktor.
Thanks Giving in Taumarunui
Die beiden kommenden Abschnitte sind momentan Wetterbedingt, nicht passierbar. Auf dem 42 Traversal gibt es eine Flussüberquerung, die momentan wegen zu viel Regens nicht passierbar ist. Außer man hat große Lust einen reißenden Strom hinunter gespült zu werden.
Danach kommt die Überquerung des Mount Doms, von Herr der Ringe. Für diese gibt es gerade auch eine Warnung, da es dort in 1800 m zu kalt ist und man nichts sehen kann. Und da das noch nicht genug ist, kommt danach noch ein viertägige Kajaktour, die momentan wegen zu starkem Regen auch nicht stattfinden kann.
Trotz all der schlechten Nachrichten hält es hier niemanden davon ab, sich eine gute Zeit zu machen, alternative Pläne zu schmieden oder sich einfach etwas auszuruhen. Mein großer Zeh hat seit zwei Wochen einen eingewachsenen Nagel, der bei der ständigen Belastung und den nassen Füßen, nicht so recht heilt. Ein zwei Tage Pause werden ihm gut tun.
Andere Wanderer überspringen die kommenden Passagen und kommen später bei besserem Wetter zurück. Wieder andere versuchen es, die kommenden Passagen in umgekehrter Richtung zu gehen, da es eine gute Chance gibt, dass das Wetter dann besser ist, wenn sie bei den schwierigen Passagen ankommen.
Mit der Gruppe, mit der ich hier gestrandet bin, haben wir uns ein Airbnb gemietet und einfach mal ein Thanks Giving Festmahl bereitet. Wir haben gemeinsam gekocht und uns danach beim Essen darüber ausgetauscht, für was wir dankbar sind. Wir haben alle gesund die ersten 1000 km des Trails überstanden, wir haben alle viele interessante Bekanntschaften gemacht, es sind neue Freundschaften entstanden. Generell sind wir alle sehr dankbar für den Fakt, solch eine Reise machen zu können, die Wohl all unserer Leben für immer in Erinnerung bleiben wird.
Pläneschmiede
Für mich ist es noch ein ungewohntes Gefühl, erstmal für lange Zeit kein Ende meiner Reise in Sicht zu haben. Da ich auch nichts fest geplant habe, eröffnet das auch ganz andere Maßstäbe, in welchen man hier denken kann. Auf der Wanderung hat man viel Zeit über Dinge nachzudenken und auch neue Pläne zu schmieden. Da ich eh ein Flugticket aus Neuseeland brauchte, dass mir die Einreise gewährt wurde, sie wollten wohl sichergehen, dass ich auch auf jeden Fall wieder verschwinde, hatte ich mir schon vorab ein Flugticket nach Sydney besorgt. Wenn ich dann schon einmal da bin, kann ich auch gleich neu gewonnene Freunde besuchen und das Land ein wenig erkunden. So schnell komme ich sicher nicht mehr da hin.
Ich merke jetzt nach ca. 40 Tagen schon wie viel fitter ich bin, im Gegensatz zum Start meiner Reise. Eine Idee, die mir dadurch in den Sinn kam, ist, das ich ja ganz am Ende fit genug sein sollte, einfach mal so, ohne weiteres Lauftraining einen Marathon zu laufen. Im Gespräch mit anderen haben wir dann die Idee weitergesponnen, einfach die letzten 42 km des Trails zu rennen. Mal sehen wie ich mich fühle, wenn ich diesem Punkt näher komme. Denkt ihr, das ist realistisch?
Eine andere Sache, die sich spannend anhört, wäre es nicht mit dem Flugzeug nach Südamerika überzusetzen, sondern auf einem Boot anzuheuern und auf dem Seeweg den Pazifik zu bestreiten, mag es auf einem Segelboot oder irgend einem Frachter sein.
Ich schätze dazu ist noch etwas Recherche nötig! 🙂
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