Ins Wasser gefallen
Warten auf besseres Wetter
Das unbeständige und regnerische Wetter hindert uns daran, den Trail wie geplant durchzuführen. Der Regen hindert uns daran, die Flüsse zu überqueren und hinunter zu paddeln, und der starke Wind macht es uns unmöglich, die höher gelegenen Passagen in den Bergen zu überqueren. Unter diesen Umständen habe ich versucht, das Beste aus der Situation zu machen und unproblematische Streckenabschnitte zu laufen und nicht nur zu warten. Bis jetzt lief es ganz gut, abwechselnd mit ein paar Tagen Pause. Letztendlich haben wir alle nur darauf gewartet, dass der Whanganui River wieder mit Kanus befahrbar ist. Aber dafür war der Wasserstand zu hoch. Es wäre schade gewesen, wenn wir diesen Plan in den Wind geschlagen hätten.
Der Plan, eine Weile von Süden nach Norden zu laufen, ist nur teilweise aufgegangen. In den letzten Wochen haben Josefien und ich unseren eigenen Trail wie einen Flickenteppich zusammengenäht. Jeder Tag musste so genommen werden, wie er sich uns präsentierte. Auf den Wetterbericht ist so viel Verlass wie auf ein Wort aus Trumps Mund. So legten wir einen Ruhetag in der Jugendherberge in Nationalpark ein und vertrieben uns die Langeweile an der Kletterwand neben den Schlafräumen. Irgendwie war es schön, mal andere Muskeln als nur die Beine zu benutzen. Normalerweise versuche ich nach einem Wandertag noch ein bisschen Oberkörpertraining zu machen, um nicht ganz aus der Form zu kommen. Das gelingt mir aber nicht hundertprozentig konsequent.
Die Gefährten
An einem anderen Tag fühlten wir uns wie Frodo, als wir seinen Spuren auf den Mount Doom folgten. Sturm und Hagel erschwerten uns den Aufstieg und versperrten uns fast vollständig die Sicht. Die kurzen Hosen, die ich trug, gaben dem Hagel freie Bahn, um mich zu peelen. Irgendwie hatte es trotzdem etwas Magisches, auch wenn es eine zitternde Tortur war. So ist das, wenn man versucht, das Böse zu besiegen. Wenn wir zum Zuckerschlecken gekommen wären, hätten wir wohl besser auf besseres Wetter warten sollen. Auf diese Idee ist Frodo wohl auch nicht gekommen.
Wären wir nur eine halbe Stunde langsamer gewesen, hätte sich der Himmel rechtzeitig genug geöffnet, um ein paar zauberhafte Blicke auf den Nachbarvulkan zu erhaschen. Aber so schnell, wie wir waren, blieb uns nur der Blick hinunter ins Tal. Jetzt müssen wir uns mit Fotos von Freunden begnügen.
Was uns blieb, waren ein paar zauberhafte Blicke auf die Emerald Lakes in ihrem türkisfarbenen Grün. Wasser, umgeben von einer unwirklich lebensfeindlichen Pampa, die die Seen fast wie eine Oase auf dem Mars erscheinen lässt.
Am nächsten Tag erreichte uns die Nachricht, dass die Traverse 42 durch einen Erdrutsch völlig unpassierbar geworden war. Pläne zu ändern ist mittlerweile eine unserer Spezialitäten und wir lassen uns nicht aus der Ruhe bringen. So verwarfen wir den Plan, den Mount Doom zu umrunden und folgten stattdessen dem gewundenen Fisher Trail entlang einer Bergkette. Bei bestem Wetter und toller Aussicht wurden wir dafür reichlich belohnt.
Emotionen
Diese stürmischen Tage waren auch für mein emotionales Wohlbefinden sehr turbulent. Es gab Höhen und Tiefen, intime Gespräche, die mich zum Nachdenken anregten und vor allem emotional wachsen ließen. Es ist gut, jemanden auf dem Weg gefunden zu haben, mit dem sich die Themen nicht nur um die nächsten Etappen drehen, sondern mit dem man auch tiefer in zwischenmenschliche Beziehungen eintauchen kann. Ich habe den Mut gefunden, Gefühle auszudrücken, von denen ich dachte, dass sie verletzend sein könnten. Gefühle, die ich sonst aus Angst vor Schaden verstecke. Bewusster und stärker bin ich aus all dem hervorgegangen. Das Lustige ist, dass ich das alles schon gespürt habe, bevor ich es ausgesprochen habe.
Emotionen sind für mich oft wie das Lesen eines poetischen Textes in einer Fremdsprache, die man nicht wie die eigene Muttersprache beherrscht. Ich kann grob erfassen, worum es geht, aber ich erlebe das Erzählte nicht in all seinen Facetten. Details, die für ein umfassendes Verständnis die nötige Tiefe vermitteln. Ich kann wahrnehmen, dass ich mich ärgere oder vor jemandem weglaufen möchte, aber ich kann nicht wirklich verstehen, woher diese Gefühle kommen.
Wie bei einer Fremdsprache versuche ich, mich mit den Gefühlen auseinanderzusetzen, mir Vokabeln, Satzbau und Grammatik anzueignen. Während ich meine Hausaufgaben allein im stillen Kämmerlein mache, ist es für mich genauso wichtig, nach draußen zu gehen und die Sprache aktiv mit anderen zu benutzen. Emotionen und Gefühle sind wie eine Sprache, deren Ausdruck ich mit den Menschen um mich herum teile. Je besser man diese Sprache für sich selbst beherrscht, desto besser kann man mit anderen kommunizieren und sie verstehen. Die Analogie ist so schön, dass ich ein bisschen schmunzeln muss.
Haltestelle Paradies für einen Tag
Josie und ich sind einfach zu weit gegangen. Wir konnten uns kaum orientieren, da war das Kind schon in den Brunnen gefallen. Wir sind in der reißenden Strömung buchstäblich an unserem geplanten Nachtlager vorbeigeschwommen. Eigentlich hatten wir 9 Stunden geplant, aber durch das anhaltende Hochwasser kamen wir viel schneller voran, als es unter normalen Bedingungen möglich gewesen wäre.
Im Bewusstsein unseres kleinen Fehlers und mit der Aussicht auf einen nächsten Stopp in Sicht öffnet Josie eine Flasche Rotwein, die zusammen mit der Musik, die meinem Handy entsprang, zur guten Stimmung beiträgt. Gut gelaunt lassen wir uns die letzten Kilometer bis zum nächsten Camp von der Strömung treiben. Nach nur einer Stunde erreichen wir beschwingt unseren ersten Übernachtungsplatz auf unserer Kanutour.
In den letzten Sonnenstrahlen, bevor die Sonne sich hinter den Bergen versteckt, trocknen wir unsere Zelte und bauen sie auf. Wir kochen uns ein leckeres Festmahl aus Nudeln, Auberginen, Tomaten aus der Dose, Zwiebeln, Thunfisch und Peperoni. Zum Nachtisch gab es Toblerone.
Bei unserem Tempo können wir die fünftägige Tour den Whanganui River hinunter bis zur gleichnamigen Stadt in nur drei Tagen bewältigen. Genug Zeit also, um die Zelte abzubrechen und unser Boot für einen weiteren Tag unbeladen zu lassen. Wir verbringen den zusätzlichen Tag mit ausgiebigem Essen, Lesen, Schreiben und Zweisamkeit, die nur am Rande von Besuchern unterbrochen wird.
Ich lese gerade “Der Schatten des Windes” parallel auf Deutsch und Spanisch. Spanisch alleine war mir etwas zu kompliziert, abwechselnd mit Deutsch lerne ich wirklich viel und kann auch viel tiefer in die Welt rund um ein Mysterium in Barcelona eintauchen.
Wir sind hier in unserem eigenen kleinen Paradies gestrandet, von dem aus wir die Kanus und Motorboote beobachten können, ohne direkt mit ihnen interagieren zu müssen. Sie lassen sich von A nach B treiben und wir lassen uns treiben. Was für ein schöner Tag.
Der Reinfall
Gerade noch haben wir versucht, alle Hauptstädte der EU-Staaten aufzuzählen, da liegt plötzlich ein Baumstamm im Weg, den wir spontan nutzen, um unser Kanu darum zu wickeln. Er verkeilte sich völlig. Ich konnte mich gerade noch daran festhalten, um nicht von der reißenden Strömung mitgerissen zu werden. Nachdem ich auf unseren Baumstamm geklettert war, fand ich Josefien unverletzt auf der anderen Seite des Bootes. Sie war es, die mit kühlem Kopf vorschlug, erst einmal einen Plan zu machen und nicht sofort in Aktionismus zu verfallen, um das Boot vom Baumstamm zu lösen. Ich stecke mein Handy in eine sichere Tasche. Wir erinnern uns an die wichtigsten Regeln in einer solchen Situation, das Ruder in der Hand zu behalten, sobald das Boot wieder schwimmt, und uns mit den Füßen voran am Boot festzuhalten, um uns vor Treibholz zu schützen. Doch nur Josie schafft es, sich am Boot festzuhalten.
Zunächst gelang es uns nicht, das Boot auch nur einen Millimeter nach links oder rechts zu bewegen. Es war mit voller Wucht an den Baumstumpf gepresst. Nach einigem Ziehen und Zerren gelang es uns schließlich, das Kanu in eine Richtung zu schieben und schließlich zu lösen. Ich hatte den Halt verloren. Mit aller Kraft versuchte ich, zum Boot zurückzuschwimmen, konnte mich aber nur mit letzter Kraft auf einen anderen Ast flussabwärts retten und Josie dabei beobachten, wie sie sich an dem wieder festgefahrenen Kanu zu schaffen machte. Es war extrem kalt. Ich zitterte.
Mir blieb nichts anderes übrig, als auszuharren und der tapferen Josie dabei zuzusehen, wie sie versuchte, das Boot, das diesmal am Seil hing, von seinem Knecht zu befreien. Ich konnte aus der Ferne sehen, wie sie sich mit aller Kraft an der Seite des Bootes flussaufwärts zog, um zu sehen, woran es hing. Das Messer, das sie bis vor kurzem noch in der Tasche hatte, war nicht mehr auffindbar. Vorsichtig entschloss sie sich, die Leine am Bug zu lösen und so den Strick vom Galgen zu befreien. Geschaft! Josie trieb mit ihrem Wasserfahrzeug auf mich zu. Mit ein paar kräftigen Schlägen schwamm ich zu unserer Boje und hielt mich fest. Das war alles, was von dem umgedrehten Boot übrig blieb.
Unser erster Versuch, das sonnenbeschienene Ufer zu erreichen, scheiterte. Der zweite war erfolgreich, da wir auf der anderen Seite im Kehrwasser langsam stromaufwärts trieben und so langsam das andere Ufer erreichen konnten. Dort angekommen war es ein Leichtes, das Kanu auf die vorgesehene Seite zu drehen und vom restlichen Wasser zu befreien. Alle Fässer mit unseren Sachen waren noch da, obwohl sich von einem ein Griff gelöst hatte. Die einzigen Dinge, die verloren gingen, waren Josies Becher, meine Mütze und meine Brille. Aber das Wichtigste ist, dass wir beide unverletzt geblieben sind und dass aus einem sonst eher langweiligen Tag ein Abenteuer geworden ist, das uns ungewollt aber sehr verbunden hat.
Josefien, meine Heldin! Danke für deinen Einsatz! Ohne dich wären wir nicht so glimpflich davongekommen.
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