Falscher Gipfel Stürmer
Während wir uns in der ersten Woche noch im Allgäu der Pyrenäen befanden, waren wir in der letzten Woche im echten Hochgebirge. Jeden Tag haben wir zwischen 1000 und 2000 Höhenmeter auf unseren Tellern.
Irgendwann findet man seinen eigenen Rhythmus, für sich selbst und für die Gruppe. Manchmal synchronisiert man sich mit seinen Kameraden, manchmal sprintet man in seinem eigenen Tempo.
Ich brauche es definitiv, auch mal losgelassen zu werden, genieße aber auch die Gesellschaft, wenn wir uns mittags oder abends an einem vereinbarten Ort treffen.
Dann sitzen wir zusammen, kochen, essen oder spielen noch eine Runde Schach oder Kniffel. Zum Abendessen gibt es Kartoffelpüree mit Linsen und Spargel- oder Pilzsuppe. Zum Nachtisch gibt es dunkle Schokolade und Drachenzungen (saure Gummitiere).
Wandern ist etwas ganz Besonderes, weil man sich mit seinen Mitwanderern und seinen Gefühlen auf eine ganz spezielle Art verbindet. Die Zeit, die man mit den eigenen Gedanken und denen der anderen verbringt, öffnet Türen, für die man sonst im Alltag viel mehr Zeit braucht, um sie zu öffnen.
Ich weiß nicht, was es ist. Die unendliche Weite, die einem Raum gibt. Die Leere, die gefüllt werden will. Die gemeinsame Beschäftigung, die Anstrengung, die einen auf eine Weise verbindet, die der Tiefe Raum gibt, sich zu entfalten, sich mitzuteilen.
Modus Correandi
Ich bin ganz in ihm. Die Welt rollt mit aller Kraft unter meinen Füßen dahin. Der Gummi beißt sich in Fels, Schlamm und Wurzeln.
Es scheint keine Hindernisse zu geben. Alles fühlt sich leicht an. Der Tag kann so lang sein wie er will, die Höhenmeter, die hinter mir liegen, scheinen keine Bedeutung mehr zu haben. Es gibt nur noch mich und den Trail, den Gipfel, den Weg, der sich vor mir in einen reißenden Strom ergießt.
Es dauert ein paar Tage, bis ich meinen Rhythmus wiedergefunden habe, bis meine Füße und mein Rücken wieder auf Touren kommen. Er ist wieder da, der Hunger, der mich Kilometer fressen lässt.
In der Anstrengung zeigen wir uns von unserer innersten Seite. Ankommen ist nicht gleich ankommen. Die Mühen des Tages fallen nicht einfach mit Rucksack und Schuhen von uns ab. Sie brauchen Zeit. Man kommt immer zweimal an, zuerst mit dem Körper, dann mit dem Geist.
Neue Wege
Wir folgen mehr oder weniger dem Hexatrek bzw. dem GR10 Richtung Osten über die Pyrenäen.
Aber für mich ist es einfach nicht genug, den Anweisungen zu folgen. Eigentlich sollte man meinen, dass ich nach so vielen Kilometern, die ich in den letzten Jahren zu Fuß zurückgelegt habe, gelernt habe, in welche Richtung es geht. Es sollte auch nicht so schwer sein, einer Linie auf der Karte zu folgen. Und doch passiert es mir immer wieder, fast täglich, dass ich in die falsche Richtung gehe.
Eigentlich sollte man meinen, dass es mich frustriert, zusätzliche Kilometer zu laufen, aber am Ende geht jeder seinen eigenen Weg, der uns zu unserem gemeinsamen Ziel führt.
Wo die anderen es rechtzeitig merken, habe ich schon (falsche) Gipfel erklommen, Täler erkundet und neue Wege entdeckt. Aber irgendwie finde ich immer wieder zu den anderen zurück. Alle Wege laufen immer wieder auf mein Rudel zu.
Unterschiede
Im Gegensatz zu den Anden ist das Wandern in den Pyrenäen auf seine Art weniger wild. Es gibt fast überall Handyempfang, zumindest auf den Gipfeln. Die Etappen sind nie länger als drei Tage bis zum nächsten Geschäft, wo man sich mit Proviant eindecken kann. In den Anden musste ich oft Essen für 5 bis 7 Tage mitschleppen.
Hier trifft man jeden Tag andere Leute, manchmal ganze Horden, hauptsächlich Franzosen und Spanier, die sich die Beine vertreten. In Chile habe ich selten tagelang überhaupt eine Menschenseele getroffen.
Immer wieder kommen wir an bewirtschafteten Berghütten (sogenannten Refugios) vorbei, wo man auch mal eine warme Mahlzeit oder ein kühles Getränk bekommt.
Die Pferde und Rinder haben uns schon um den Schlaf gebracht. Immer wieder trampeln und trotten sie neugierig an unseren Zelten vorbei, stolpern über die Heringe. Ich hatte Angst, dass mir einer auf den Kopf fällt. Zwischen mir und dem Huf war nicht viel Luft.
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