Die Wogen glätten sich
In den ersten beiden Wochen konnten wir in den Pyrenäen gut 25 Kilometer pro Tag zurücklegen. Ab der dritten Woche ging unsere Rechnung nicht mehr ganz auf. Immer mehr Höhenmeter verhagelten uns den Schnitt und verhinderten, dass ich es in den geplanten vier Wochen bis nach Andora schaffte. 600 Kilometer, die mit weniger Steigung kein Problem gewesen wären.
Bei der Planung nehmen wir jeden Tag, wie er kommt. Oft kann man am Vortag noch nicht abschätzen, wie die Bedingungen sein werden, wie das Wetter wird und wie gut sich die Zeltplätze bewähren, die wir uns vorher auf der Karte ausgeguckt haben. Gerade bei Gewittern kann sich das hier in den Bergen sehr schnell ändern. An einem Abend sollte es laut Vorhersage ab 17 Uhr gefährlich gewittern. Das hat sich nicht bewahrheitet und so habe ich mein Zelt aufgebaut, anstatt in der Hütte nebenan zu schlafen. Die anderen entschieden sich gleich für die Pritsche in der alten Schäferhütte. Eine gute Wahl, wie sich später herausstellen sollte.
Als ich gegen 22 Uhr in mein Zelt ging, konnten wir noch die schönsten Farben am Horizont sehen. Die Sonne war langsam hinter den umliegenden Bergen verschwunden und hatte zum Abschied die wildesten Bilder an den Himmel gemalt. Die verschiedensten Rot-, Orange- und Blautöne tanzten über die Berge.
Eine halbe Stunde später frischte der Wind stark auf. Ich las noch ein paar Seiten in The Alignment Problem, einem Buch über die Fallstricke der künstlichen Intelligenz, bis ich die Augen nicht mehr offen halten konnte. Doch mein süßer Schlaf währte nicht lange. Immer lauter schlagen die Wellen des Himmels gegen meine weiße Behausung. Es ist stockdunkel. Immer wieder geht das Stroboskop an. In immer schnellerem Rhythmus erhellt es mein Zelt. Immer näher kommen die Bässe von Thors Hammer. Erst tröpfelt es leise, dann wird der Rhythmus der Snare immer schneller.
Ich beginne alles in den Rucksack zu packen, nur der Schlafsack und die Isomatte bleiben vorerst draußen. Das ist die Feuertaufe für mein neues Zelt. Es muss sich bewähren. Viel kann nicht kaputt gehen. Es sei denn, der Stoff reist.
Regel Nummer eins bei Gewitter: Finger weg von metallischen Gegenständen. Ich habe beide Hände an den Stangen, die dank meiner Unterstützung das Zelt zusammenhalten. Ein eigenes Gestänge hat es nicht. Alles steht und fällt mit den Heringen, die ich extra fest im Boden verankert habe.
Der Wind scheint von allen Seiten zu kommen. Das Zelt wird hin und her gerissen. Nach einer halben Ewigkeit gibt einer der Heringe nach. Mein Vorhang bricht zusammen. Ich packe alles, was ich habe, unter die Arme und flüchte in die Nachbarhütte.
Ich schwinge die Tür auf. “Seba, hilf mir schnell!” Wie auf Kommando sprintet er heraus. Ohne Brille! Er sagt, er habe nur einen weißen Fleck auf dem Boden gesehen. Wir retten ihn. Nichts gebrochen, aber nass.
Auf dem Dachboden der Hütte richte ich mir meinen Schlafplatz ein. Die Wände sind so dick, dass es sich anfühlt, als ob draußen kein Wind weht. Ich schlafe nicht fest, aber trocken.
Fünf Tage Essen im Rucksack
Wieder einmal habe ich so viel eingekauft, dass ich den Rucksack kaum heben kann. Ich habe alle Gurte geöffnet, um den Rucksack dem hohen Gewicht anzupassen. Dabei ist die Verstärkung des Rückenteils gerissen. Es ist nicht so schlimm, aber das passiert mir sicher nicht noch einmal.
Für den ersten Tag in den Bergen nehme ich gerne etwas Besonderes zum Essen mit, das viel wiegen kann, da es eh sofort verzehrt wird. Diesmal war es eine vorgekochte Tortilla de Patata. Was für ein Genuss, sie nach einem Aufstieg von über 1000 Metern in die Pfanne zu hauen.
Ich nehme gerne viel frisches Essen wie Obst und Gemüse mit. Es ginge zwar auch ohne, aber ich genieße es, knackigen Kohl, Zwiebeln, Avocado und Paprika auf meinen Wraps zu haben.
Zum Frühstück gibt es Erdnussbutter, Marmelade und Nüsse, die ich auch in einen Wrap wickle. Sebastian und ich nennen das Erdnusswatschen.
Abends gibt es entweder Reis oder Nudeln mit Fertig-Saucen. Ich habe schon einige ausprobiert. Mein Favorit ist im Moment die Champignonsoße.
Hier in Frankreich gibt es den verrücktesten Weichkäse. Ich kann es mir nicht verkneifen, ein, zwei Stück mitzunehmen und die ersten zwei Tage zu essen. Danach geht es vegan weiter.
Nach drei Tagen wird der Rucksack endlich merklich leichter. Meine Knie danken es mir, dass ich so viel leckeres Essen zu mir genommen habe.
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