Peru – Alpamayo und Santa Cruz – Auf 4800 Metern
Die Temperaturen sind wieder, wie bei meiner Wanderung der vergangenen Woche, auf den Gefrierpunkt gesunken. Was mich bei meiner letzten Tour gerade noch warm gehalten hat, waren meine beiden Jacken, die ich diesmal mit meinen anderen Sachen in Huaraz vergessen habe. Mit meinem alten Schlafsack hätte ich diesmal allerdings auch nicht überlebt. Zum Glück habe ich jetzt einen neuen Schlafsack, der mich bis -7 Grad kuschelig warm hält, zu warm, dass ich ihn nur als Decke benutzen kann, um nicht im eigenen Saft zu schmoren. Auf dieser Wanderung lasse ich mir nicht mehr nachsagen, dass ich nachts friere.
Es kommt mir fast wie ein Ding der Unmöglichkeit vor, zu beschreiben, wie beeindruckend die Landschaft ist, die mir hier Peru in der Cordillera Blanca, in der Nähe von Huaraz, jeden Tag vor die Füße geworfen wird. So etwas habe ich in meinem Leben noch nicht erlebt. Ich bin erst ein paar Tage unterwegs. Es ist fast surreal, wie oft ich hier beim Wandern ins Staunen gerate. Alle paar Kilometer bietet sich mir ein neues Schauspiel, das ich kaum in Worte fassen kann. Jeden Tag aufs Neue schlage ich mein Zelt in einem neuen Paradies auf.
Catan
Zunächst gehe ich an Feldern vorbei, die aussehen, als stammten sie direkt aus „Die Siedler von Catan“. Von Cashapampa sind es nur etwa 15 Kilometer bis zu meinem ersten Schlafplatz am Fuße des Alpamayo, gleich neben dem Ort Hualcallán. Ein älterer Mann spricht mich in einem für mich nur als Kauderwelsch verständlichen Dialekt an. Das lag natürlich nur an meiner Unwissenheit, mich vorher nicht über meine Wanderroute informiert zu haben. Eigentlich wollte er nur wissen, ob ich zum Alpamayo wolle, dem einzigen Ort, zu dem ein Gringo hier gehen würde. Nach einigem Hin und Her erklärt er mir den Weg zum Campingplatz. Ich bedanke mich und ziehe los. Es war doch nicht so einfach. Wie dumm von mir zu glauben, dass es hier einen richtigen Campingplatz gibt. Nach mehrmaligem Nachfragen und immer weiter den Berg hinauf geschickt werden, lasse ich mich irgendwann müde auf einem flachen Stück Gras nieder.
Höhentraining
Wie schon in der vergangenen Woche macht sich die Höhe bei meiner Ausdauer bemerkbar. Gerade wenn es steil bergauf geht, muss ich immer wieder anhalten, um Luft zu schnappen. Ich merke aber schon, wie ich an Kondition gewinne bzw. sich mein Körper langsam an die Höhe anpasst. Mein heutiges Ziel ist ein natürlicher Staudamm, der sich massiv vor dem Santa Cruz, dem Berg, der für die nächsten Tage das Zentrum meiner Wanderung sein wird, erhebt und die Lagune Collicocha absperrt. Während sich mein Wanderweg langsam an dem Felsmassiv entlang schlängelt, kann ich nicht beschreiben, was mir mehr den Atem raubt, die körperliche Anstrengung oder die Aussicht. Sobald es auch nur ein wenig steiler wird, sobald sich mein Weg auch nur im Geringsten in Richtung Himmel bewegt, beschleunigen sich mein Puls und meine Atmung, als würde ich an einem Wettrennen teilnehmen.
Felsriesen
Der Damm ist ein Felsen zwischen zwei Bergen, auf dem ein paar Häuser gebaut sind. Ich kann nur erahnen, was hier los ist, wenn sie von Menschen belebt sind, von Touristen, die auf Eseln hierher gebracht werden, um den Blick auf den Gletschersee zu genießen. Für mich ist es aber nur ein Zwischenstopp, eine Mittagspause. Ich mache mir Sandwiches, zwei Mini-Dönerbrötchen, die ich mit Avocado, Petersilie, Tomate und etwas scharfer Paprika fülle.
Währenddessen überlege ich, wie der Tag weitergehen soll. Immerhin bleiben mir noch gut drei Stunden, um rechtzeitig einen geeigneten Schlafplatz zu finden und mein Nachtlager aufzuschlagen. Gegen 17 Uhr verschwindet die Sonne bereits hinter den Bergen, um 18.30 Uhr ist es schon dunkel. Mit dem Verschwinden der Strahlen saugt die Sonne wie ein Schwamm die Wärme aus der Luft. Die Temperaturen fallen im Nu um mehr als 20 Grad bis auf den Gefrierpunkt. Bis dahin will ich unbedingt meine Nudeln kochen sehen und den Schlafsack bereit haben, um mich für die kommenden 12 Stunden zu mumifizieren. Ich beschließe, noch zwei Gipfel zu überqueren und ins Tal hinabzusteigen. Auf der Karte sehe ich, dass es dort einen Fluss gibt, der mich mit frischem Wasser versorgt und einige flache Stellen, auf denen ich mich ausbreiten kann.
Zuerst muss ich die Lagune umrunden, immer höher hinauf. Immer wieder habe ich neue Ausblicke auf den See und die schneebedeckten Berge dahinter. Die Umgebung wird nun etwas schroffer, von Pflanzen keine Spur mehr. Der kranitartige Fels kanalisiert mich vom See weg. Zu beiden Seiten türmen sich die dunkelgrauen Steine auf wie eine Schar von Riesen, die mir den Weg weisen wollen. Ihre Kinder, kleinere Felsen, spielen draußen auf dem Hof, von dem aus ich nun den Blick auf den 4700 Meter hohen Pass habe, der mir den Abstieg ins Tal erschwert. Mit letzter Kraft erreiche ich den Gipfel. Wieder und wieder muss ich mich ausruhen, Luft holen, weitergehen.
Geschafft, ich sehe das Tal, ich sehe einen kleinen Mann, der mir wie ein Vierbeiner mit seinen Wanderstöcken entgegenkommt. Es ist ein Russe. Das Männchen lässt sich durch viel Smalltallk nicht aufhalten. Wir geben uns noch Tipps für die vor uns liegende Etappe und schon geht es weiter. Uns beiden ist bewusst, wie wenig Zeit uns noch bleibt. Der kalte Wind, der die Nacht ankündigt, streicht schon vorsichtig über unsere geschundenen Waden. Er ruft uns mit seinem Gesang.
Beim Abstieg von über 1000 Metern merke ich langsam, dass ich mich überschätzt habe. Ich habe Angst, nicht rechtzeitig einen Schlafplatz zu finden. Wasser, auf das ich unterwegs gehofft hatte, ist auch nicht in Sicht. Gerade als die Sonne hinter mir untergeht, finde ich ein Plätzchen, gerade groß genug, um meinen grünen Nemo aufzustellen.Leider ist kein Wasser in Sicht und ich habe auch keine Lust mehr, danach zu suchen. Mit dem einen Liter Wasser, den ich noch in meiner Flasche hatte, konnte ich mir gerade noch ein paar Nudeln kochen. Die Nacht würde ich ohne weitere Flüssigkeitszufuhr überstehen müssen.
Tal der Sonne entgegen
Am nächsten Morgen finde ich keine hundert Meter entfernt einen kleinen Bach. Ich gönne mir das kühle Nass und mache mich frohen Mutes auf den Weg in Richtung Sonnenaufgang.
Auch Fotos können nur erahnen lassen, wie schön sich die Berge hier in der Cordillera Blanca auftürmen, welche Kontraste sie im Spiel von Licht und Schatten auf meine Leinwand werfen. Meine Wanderung führt mich rund um die Berge Alpamayo und Santa Cruz. Nach jedem Sattel, den ich überquere, bekomme ich einen neuen Blick auf die vielen Gletscher, die sich auf den Gipfeln der Berge angesammelt haben. Massen von Eis, die einen steten Strom fast unsichtbaren, klaren Wassers von sich geben. Es ist mir ein Rätsel, wie es sein kann, dass die Gletscher im Laufe einer Saison nicht komplett abschmelzen. Irgendwie macht es einem bewusst, wie unendlich die Welt um einen herum ist. Ganz abgesehen davon, dass auch diese Gletscher irgendwann dem Klimawandel zum Opfer fallen werden.
Navigationsexperte
Ich habe mich grob an die GPS-Daten gehalten, die ich im Internet gefunden habe. Grob deshalb, weil sie mir eher die Richtung vorgaben, als dass ich ihnen auf Schritt und Tritt gefolgt wäre. Das hat dazu geführt, dass ich nicht nur einmal abseits eines erkennbaren Trails durch Gestrüpp gewatet bin oder über einen Abgrund gerutscht bin, bis ich wieder festen Boden unter den Füßen hatte.
In der Ferne sah ich schon eine Art Zirkuszelt. Wie sich herausstellte, war es das Hauptquartier eines Deutsch-Amerikaners namens Johannes, der sich den Luxus leistete, seine gesamte Ausrüstung und Unterkunft auf vier Eseln transportieren zu lassen. Jeden Tag wurde ihm das Essen von einem Koch zubereitet und die Betten und Zelte vom Arriero, dem Eseltreiber, vor seiner Ankunft im Camp hergerichtet. Wir unterhielten uns prächtig und tauschten uns über unsere vergangenen Abenteuer aus. Abends kam ich in den Genuss eines mehrgängigen Menüs.
Zufall füllt den Magen
Es gibt sicherlich schlimmere Jobs, als den ganzen Tag am See zu sitzen und aufzupassen, dass niemand den See verschmutzt oder die Forellen vom Zuchtbetrieb klaut. Genau das macht der Mann, der bei mir am See sitzt. Man könnte den See mit einem in Bayern verwechseln. Heute hatte ich den ganzen Tag das Glück, von jemandem bekocht zu werden. Am Morgen habe ich mir vorgestellt, wie ich an einem gedeckten Tisch sitze und mir jemand Frühstück macht. Kurz darauf sprach mich eine Frau an, die auf einem Feld arbeitete, und fragte mich prompt, ob ich schon gegessen hätte. Ich verneinte. Sie konnte es kaum erwarten, ihre Arbeit zu vernachlässigen und zu mir herunterzuspringen. Sie fragte mich, ob ich gläubig sei. Als ich wieder verneinte, hatte ich das unterschwellige Gefühl, sie wolle mich bekehren, mich sogar mit einer gläubigen Bekannten zusammenbringen. Sie muss schon mit härteren Geschossen kommen, als mir eine Frau in Lima unterzuschieben.
Lor, so hieß die Dame, hatte mir von einer Forellenzucht in dem Tal erzählt, das ich noch am selben Tag erreichen wollte. Interessant, wie eine solche Information einen in Schwung bringen kann. Mit flinken Füßen lief ich die 1000 Höhenmeter hinauf und hinunter in das Dorf Ingenio. Dort gab es zwar keine Forelle, aber ich hatte mich frecherweise selbst zum gemeinschaftlichen Mittagessen, Reis mit Linsen, eingeladen. Eine Entschädigung wurde von der ganzen Gemeinde einstimmig abgelehnt. Immerhin akzeptierte man ein paar Süßigkeiten für die Kinder.
Auf dem Weg zu meiner Laguna hatte ich mein Ziel, heute noch einen Fisch zu essen, nicht ganz aufgegeben. Kurz vor dem Ziel komme ich an einer Farm vorbei. Ich erkundige mich bei den Jungs, die dort herumlungern, wie es mit den Forellen aussieht und vor allem, ob sie schon groß genug zum Essen sind. Als sie mir das bejahen, bitte ich sie, mir drei dieser Forellen zum Abendessen zuzubereiten.
Beim Kartenlesen kann ich mich sicher noch verbessern. Statt eines Passes mit anschließender gemütlicher Talabfahrt musste ich schließlich zwei Pässe überqueren, um ins Tal des Santa Cruz zu gelangen. Wo ich in den letzten Tagen fast die ganze Zeit alleine unterwegs war, war der Pass Punta Union sogar von Menschen überflutet. Ich konnte mich gar nicht schnell genug von den Touristen entfernen. Mit knapp 30 Kilometern war dies mein längster Tag, der mich nach weniger als 20 Kilometern wieder zu meinem Ausgangspunkt zurückführte, an dem ich eine Woche zuvor gestartet war.
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