Ein Jahr auf Reisen
Vor zwei Jahren habe ich beschlossen, nicht mehr Geld zu verdienen, sondern mein angespartes Geld auszugeben, um die Welt zu entdecken. Vor einem Jahr habe ich diese Idee in die Tat umgesetzt. Seitdem habe ich unzählige Abenteuer erlebt, sieben Länder auf zwei Kontinenten besucht und über 4000 Kilometer zu Fuß zurückgelegt.
Ich war auf den Fidschi-Inseln und habe mein Open Water und Advanced Tauchschein gemacht. In Neuseeland bin ich über 3000 km der Länge nach durch das Land gewandert. In Australien habe ich mich in Schluchten und im Dschungel verloren. In Brasilien habe ich Strände, Inseln und Städte erkundet. In Kolumbien habe ich einen alten Freund wiedergefunden und mich einen Monat lang im Dschungel versteckt, um beim Bau eines Hostels zu helfen. In Ecuador habe ich lange Wanderungen unternommen und Kindern Englisch beigebracht. In Peru habe ich meinen Hafen in den Bergen gefunden.


Natürlich sorgenfrei
Vor allem in der Natur staune ich immer wieder über die Schönheit, die sich mir bietet. Staunen ist etwas, das ich in der Vergangenheit mehr oder weniger verlernt zu haben schien. Das Staunen ist zu mir zurückgekehrt, genauso wie die Akzeptanz dessen, was um mich herum geschieht. Ich war viel zu sehr damit beschäftigt, das Beste aus der wenigen Zeit zu machen, die mir zur Verfügung stand. Der Zeitfaktor war für mich immer eine Art Fessel, ein Joch, das ich mir teilweise selbst auferlegt hatte. Paradoxerweise habe ich viel Zeit damit verbracht, mir mehr Zeit zu verschaffen. Jetzt habe ich diese Einschränkung nicht. Ich muss nirgendwo sein. Ich muss nichts tun. Niemand sagt mir, was ich zu tun habe. Ich entscheide, was als nächstes passiert.
Mit dieser Entscheidungskraft ziehe ich mich am liebsten in die Berge zurück, weg von all dem Trubel, den die Zivilisation mit sich bringt. Ich beschränke mich auf das, was in meinen Rucksack passt und was ich tragen kann, ohne umzukippen. Ich stehe mit der Sonne auf und gehe mit ihr schlafen. Auch auf meinen Wanderungen mache ich mir nicht mehr so viele Gedanken über mögliche Komplikationen. Ich gehe einfach.


Über Geld mache ich mir nur noch sehr wenig Gedanken, auch wenn ich mir sehr wohl bewusst bin, dass mein jetziges Leben so nicht ewig weitergehen kann, aber doch noch lange genug, um mir jetzt zu viele Gedanken darüber zu machen.
Auf meiner Reise habe ich (wieder) entdeckt, was ich eigentlich vom Leben will. Vieles von dem, was mir jetzt viel klarer erscheint, sind Dinge, die ich schon vor vielen Jahren als Ziele aufgeschrieben habe. Dass es so lange gedauert hat, sie umzusetzen, zeigt wohl, dass sie nicht so klar waren, obwohl ich sie aufgeschrieben hatte. Träume nicht deinen Traum, lebe deinen bla bla bla.
Wenn ich in wenigen Worten beschreiben soll, was sich in meiner Denkweise geändert hat, dann ist es mein Leben selbst in die Hand zu nehmen, ohne darauf zu warten, dass sich die Umstände oder meine Umgebung ändern. Ihr habt sicher schon einmal von dem Spruch gehört: “Die Definition von Wahnsinn ist: Immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten“. – Albert Einstein. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass ich das schon sehr lange tue und sich nie etwas veränderte. Viel zu lange habe ich darauf gewartet, dass sich die Umstände an mich anpassen.


Was ich kann (und nicht kann)
Ich habe gelernt, dass meine Fähigkeiten nicht selbstverständlich sind, auch wenn es mir manchmal so vorkommt, und dass andere an Grenzen stoßen, wo ich noch viel Luft nach oben habe. Mir ist viel bewusster geworden, wozu ich fähig bin und dass ich auch Grenzen habe, die ich vielleicht vorher nie so richtig ausgelotet habe, sondern mich gewundert habe, dass Dinge, die mir leicht fallen, für andere ein Hindernis darstellen. Umgekehrt bin ich viel offener dafür geworden, herauszufinden, wo die Stärken anderer liegen und was ich davon lernen kann.
Eine meiner Stärken ist zum Beispiel, dass ich beim Wandern sehr ausdauernd bin und mit vollem Rucksack längere Zeit in der Wildnis unterwegs bin. Das war für mich immer so selbstverständlich, dass ich mich gewundert und manchmal auch geärgert habe, wenn andere Wanderer “trödeln”. Ein anderes Beispiel sind die Sprachen. In beiden Fällen ist mir jetzt bewusst, dass ich schon viel Zeit investiert habe, die sich jetzt natürlich auszahlt und mir einen Vorsprung verschafft. Zeit, die andere natürlich in andere Dinge investiert haben, in denen sie jetzt Experten sind und ich nicht “mithalten” kann.


Fehlender Antrieb
Eine meiner Schwächen, die mir beim Schreiben eines Buches immer wieder in den Sinn kommt, ist, dass es mir manchmal schwer fällt, etwas zu Ende zu bringen, das ich mit viel Elan begonnen habe. Ich habe schon an die 100 Seiten geschrieben und hänge seit einigen Monaten genau an dieser Stelle fest. Ich weiß, woran das liegt. Ich habe das Gefühl, nicht gut genug für ein Publikum schreiben zu können, oder ich habe Angst, dass ich das, was ich sagen will, nicht auf den Punkt bringen kann. Zum Teil liegt es auch daran, dass ich die Faszination, die ich am Anfang für ein Thema hatte, verloren habe. Das ist etwas, was ich meinem Generalistentyp zuschreibe. Ich brauche immer wieder neue Reize, um mich bei der Stange zu halten. Irgendwie muss ich es nur schaffen, diese neuen Reize für mich zu schaffen. Ablenkung durch viele neue Eindrücke hilft natürlich auch nicht. Deshalb habe ich beschlossen, mich zum Schreiben für ein paar Wochen nach Bolivien zurückzuziehen.


Tiefs
Lange unterwegs zu sein, kann wie ein ewiger Traum erscheinen. Aber es war auch nicht immer einfach. Ich hatte immer wieder mit Einsamkeit zu kämpfen. Beziehungen sind etwas sehr Flüchtiges, wenn man mit neuen Bekanntschaften höchstens ein paar Tage verbringt, bevor sich die Wege wieder trennen. Auch der Kontakt zu alten Freunden wird durch die weite Entfernung nicht gerade erleichtert. Hinzu kommt, dass jeder mit seinem eigenen Leben beschäftigt ist.
Eine Zeit lang habe ich daran gezweifelt, ob das, was ich hier tue, in unserer durchstrukturierten und auf Effizienz getrimmten Welt nicht als Faulheit oder Zeitverschwendung angesehen werden könnte. Sollte ich mich nicht viel mehr um meine Zukunft kümmern, als nur wild durch die Weltgeschichte zu reisen?
Beides sind Gedanken, die mich immer noch ab und zu plagen, mit denen ich aber immer besser zurechtkomme. Paradoxerweise verschwinden beide völlig, wenn ich in meinem Element bin, in den Bergen. Allein auf weiter Flur blüht mein Herz auf. Natürlich wäre es schön, jemanden zu haben, mit dem man diese Momente teilen kann, aber das merke ich oft erst, wenn ich wieder in der Zivilisation bin.
Genauso geht es mir mit dem Gedanken der Zeitverschwendung. In den Bergen bin ich in meinem Element. Ich mache genau das, was mir Spaß macht. Der einzige Gedanke, der mich dann noch beschäftigt, ist, wie ich mein Leben darauf aufbauen kann. Wie kann ich mein Leben so gestalten, dass ich mir diesen Lebensstil weiterhin leisten kann. Doch den schiebe ich lieber auf einen sinnvolleren Zeitpunkt, nach meiner Reise, auf.


Therapie
Seit ein paar Monaten spreche ich jede Woche mit einem Therapeuten. Er spiegelt mir immer wieder, wie außergewöhnlich das ist, was ich mache und erlebe. Wie viel Mut es braucht, aus gewohnten Strukturen auszubrechen und seinen eigenen Weg zu gehen. Ich bin immer wieder überrascht, wenn ich über ein für mich ganz normales Thema erzähle und er mir sagt, wie sehr man an meiner Art zu erzählen und an meiner Mimik erkennen kann, wie viel mir das Thema bedeutet. Etwas, das bei mir in meiner normalisierten Welt oft untergeht. Irgendwie sollte man vielleicht manchmal innehalten und sich bewusst machen, wie toll man eigentlich ist. Applaus war immer etwas, mit dem ich nicht so gut umgehen konnte und jetzt bin ich auf einem guten Weg, mich und meine Fähigkeiten wertzuschätzen.


Was zum Geier mache ich hier eigentlich?
Vor einiger Zeit habe ich einen Beitrag geschrieben, in dem ich mir genau diese Frage gestellt habe. Inzwischen glaube ich, die Antwort gefunden zu haben. Ich tue genau das, was mich glücklich macht. In der Natur zu sein, nur mit dem, was ich zum Überleben brauche, gibt mir eine solche Befriedigung, dass ich gerne jeden Tag an der frischen Luft schlafe, um am nächsten Tag genau das Gleiche zu tun. Aufzubrechen, um ein neues Abenteuer zu erleben. Noch vor ein paar Wochen dachte ich, dass ich vor der Realität des Alltags flüchte.
Inzwischen sehe ich das ganz anders. Ich schaffe mir die Realität, in der ich jeden Tag aufwachen möchte. Ich habe immer weniger Angst davor, irgendwann wieder in den alten Trott zu verfallen, einen Job anzunehmen, nur um einen Job zu haben, wieder am Ende meiner Urlaubstage anzukommen und noch so viel Jahr übrig zu haben. Ich bin jetzt sehr zuversichtlich, dass ich einen Weg finden werde, der es mir erlaubt, Freude auf hohem Niveau zu leben.
Natürlich wird es irgendwann wieder eine Realität geben, in der ich mich um finanzielle Mittel kümmern muss, ich kann nicht ewig von meinen Ersparnissen leben, auch wenn ich das noch ein paar Jahre hinausschieben könnte. Vielmehr habe ich große Lust, wieder etwas zu erreichen. Diesmal nach meinen Vorstellungen und nicht nach irgendwelchen Verträgen oder Vorstellungen, die mir die oder eine Gesellschaft aufzudrängen scheint.
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