Wanderdurst
Ich liebe die Schönheit der Berge, die die Täler säumen, der Wälder, die die Flüsse einrahmen. Ich liebe jeden Stein, der sich erhebt, und jede Wolke, die vorbeizieht. Mich von ihnen einnehmen zu lassen. Ich liebe es, an nichts denken zu müssen. Ich liebe es, keine Pläne für den Tag zu haben. Ich liebe es, dass das Tagesziel jeden Tag neu klar ist, ohne viel Bedeutung zu haben.

In der Zivilisation überkommt mich die Unruhe, beschäftigt sein zu müssen. Es gibt keinen Moment, sondern nur das, was als nächstes zu tun ist. Die Zerstreuung überwiegt. Während ich diesen Text schreibe, wechsle ich zu anderen Apps, beantworte Nachrichten und plane Speis und Trank.

Draußen bin ich ganz ich selbst, ohne Ablenkung und in Frieden. Ich bin ganz im Augenblick. Ich genieße meine Umgebung und sie genießt mich, wir werden eins. Ich bin die Bewegung. Ich bin der Stillstand, durch den ich mich treiben lasse. Ich nehme die frische Luft und die Stille in mich auf.
Ich bin.

Im Jetzt
Die Einfachheit des Lebens blüht in mir auf. Die körperliche Anstrengung trägt zum seelischen Frieden bei. Ich weiß in jedem Augenblick, was geschieht und was geschehen wird, das bekannte Unbekannte. Zukunft und Vergangenheit verschmelzen zu einem kohärenten Jetzt. Entscheidungen fallen wie von selbst. Die Mahlzeiten stehen fest, mein Weg ist klar und wenn es dunkel wird, gehe ich ins Bett. Ohne Netz und doppelten Boden falle ich, träume, tiefer und tiefer, bis der Morgen mich zu einer neuen Reise einlädt.

Ich kann ganz allein sein mit meinen Gedanken. Meistens aber bewege ich mich in einer Art meditativem Zustand durch die Prärie. Wenn die Gedanken doch einmal zu kreisen beginnen, fällt es mir meist nicht schwer, sie wie mit einem mentalen Lasso wieder einzufangen.

Meine Grenzen
Es gibt für mich kaum etwas Größeres als das Gefühl, an meine Grenzen zu stoßen, an meine körperlichen, geistigen, emotionalen, aber auch immer wieder an die Grenzen meiner Leistungsfähigkeit.

Ich lebe in diesem Nervenkitzel. Der Moment, in dem ich vor einem Abgrund stehe, den ich überwinden muss, aus dem es aber keinen einfachen Ausweg gibt. Wenn ich Stellen überwinde, an die nicht jeder Wanderer kommt, erreiche ich den Punkt der inneren Zufriedenheit. Dann bin ich ganz in meinem Element. Ich vergesse alles um mich herum, bis auf das kleine Stück Weg, das ich mir irgendwie selbst schaffen muss, denn hinter mir, auf dem Rückweg, steht mir ausschließlich mein Ego im Weg.

Wenn ich mir dann eingestehen muss, dass es zu gefährlich wird und ich an meine Grenzen stoße, stellt sich das Gefühl ein, dass es noch etwas zu lernen gibt, wie ich es besser machen kann.

Hier herrscht der Fortschritt, das Stillen meiner Sehnsüchte, die Ruhe des Generalisten, der nichts richtig und doch alles können will.
Style
Abseits der touristischen Routen komme ich in den Ungewissheitsmodus, der die Planung durch fehlende Informationen erschwert. Fragen bleiben offen, bis ich ihnen nachgegangen bin. Wie anstrengend es wird, wie weit ich an einem Tag komme, ob es unterwegs Proviant und Wasser zum Auffüllen gibt.

Wie wild es ist, über wie viele Stöckchen und Steinchen ich springen muss, wie viele Flüsse ich durchqueren muss, um dorthin zu kommen, wo ich mein Zelt aufschlagen kann, erfahre ich erst, wenn ich selbst nachforsche. Es ist der Verlust der Kontrolle.

Viele Ungewissheiten, die mein Herz höher schlagen lassen. Das Abenteuer reizt mich. Man trifft immer wieder nette Menschen, die in den Bergen leben oder sich alleine auf den Weg gemacht haben. Ab und zu werde ich an ihren Tisch eingeladen. Immer wieder werde ich von Einheimischen angehalten und interessiert gefragt, woher ich komme, wohin ich gehe. Sie geben mir einen Einblick in das Leben in den Bergen, weit weg von dem, was ich Zivilisation nenne.
Was will ich?
Es sind die alten Muster, das Verharren in Gewohnheiten, die mich unglücklich machen. Es ist weniger eine Frage des Wohnortes als eine Frage der Ablenkung von meinen Zielen. Wie schnell zieht mich die Umgebung in den Alltagstrott zurück, der mich schnell erstarren lässt.

Die Natur wird ein großer Teil meines zukünftigen Lebens bleiben. Aber es kann nicht nur Wandern sein. Ich liebe die Natur, aber ich liebe auch die Zivilisation, ich liebe den Kontakt und den Austausch mit Menschen. Ich bin gesellig, die Natur ist es nicht. Ich möchte beides verbinden, in der Nähe von Familie und Freunden. Natürlich wäre es schön, einen Ort zu finden, der beides erfüllt, aber ich glaube, dass die beiden Orte zu weit voneinander entfernt sind. Deshalb stelle ich mir mein Leben wie ein Pendel vor, das zwischen den beiden Polen hin und her schwingt. Eine Basis, von der aus ich mich bewegen kann.
Die große Herausforderung wird sein, mich der Zivilisation zu stellen und mir zu nehmen, was ich brauche, ohne in die Abgründe der Bequemlichkeit zu fallen.

No Comments