GPT Etappe 12 und 11 – Wasser in verschiedenen Aggregatszuständen
Wegen des Schnees auf Teilen der Etappe 6 und möglicherweise auch auf anderen Etappen mussten wir einige hundert Kilometer nach Süden fahren, um dann von Liucura aus wieder auf den Trail in Richtung Norden zur Etappe 12 zu gelangen.
Die Reise war erstaunlich einfach. Das Interessante in Chile und überhaupt in Südamerika ist, dass man nur sehr wenige Dinge übers Internet regeln kann. Oft ist es besser, jemanden um Rat zu fragen. In dem Kaufhaus, in dem wir einkauften, kamen wir mit einer Verkäuferin ins Gespräch, die sofort ihr Handy zückte, um einen Bekannten zu fragen, wie wir am besten von Curico nach Temuco kommen.
Keine zwei Minuten später hatten wir die Antwort, die uns das Internet nicht geben konnte. Hier scheint alles im sozialen Verbund zu laufen, nicht so anonym wie in Europa, wo man eigentlich niemanden mehr um Hilfe bitten muss.
Die Sandsteinformationen, die uns in den ersten Tagen auf der Etappe 12 begleitet haben, haben eine interessante Landschaft geschaffen, die nicht allzu kompliziert zu wandern war. Wie auf den vorherigen Etappen ändert sich die Landschaft von Tag zu Tag dramatisch. Besonders verblüffend finde ich die Schuppen- oder Affenschwanztannen, die hier überall wachsen.
Die Andentanne trägt ab Februar eine Frucht, El Piño, die, wie mir erzählt wird, zu leckeren Speisen verarbeitet wird. Wie sind bis jetzt nur in den Genuss des Brotes und der Sopapillas, frittierte Teigfladen, gekommen.
Brot wird mir von Romina, der Hausherrin unserer Unterkunft in Guallali, als Proviant gezaubert. Schade, dass ich zur Ernte nicht mehr im Land sein werde. Aber ich bin mir sicher, dass sich in Zukunft wieder eine Gelegenheit ergeben wird, meine Kochkünste unter Beweis zu stellen.
Den ersten der beiden Pässe auf dieser Etappe haben Nolwenn, Yannick und ich mit viel Mühe überquert. Steile, schneebedeckte Hänge erschwerten uns den Aufstieg, aber wir wurden mit einer halb zugefrorenen Seenlandschaft belohnt, die sich auf der Passhöhe wie ein Vulkankrater auf einem Plateau ausbreitete.Wäre es nicht so windig gewesen, wäre es ein malerischer Zeltplatz gewesen.
Yannick ließ es sich nicht nehmen, in einem der noch zugefrorenen Seen zu baden. Zu seiner Enttäuschung war der See kaum knöcheltief und wärmer als all die Flüsse, in denen wir sonst baden. Der fast senkrechte Abstieg auf der anderen Seite erinnerte mich an die Tararuas.
Die Affenschwänze wiesen uns den Weg ins Tal, den wir knieschonend im Zickzack zurücklegten. Wir alle konnten es kaum erwarten, einen flachen Platz zum Zelten zu finden. Die Strapazen des Tages haben uns alles abverlangt. Nachdem wir uns im Bach gewaschen und die Zelte aufgebaut hatten, verabredeten Yannick und ich uns zu einer Partie Schach, während Nolwenn ein Sonnenbad nahm.
Ich liebe es, den Tag mit ein paar Stunden Sonne ausklingen zu lassen. Je nach Lage des Campingplatzes verdecken die Berge früher oder später die Sonne. Wenn sie einmal untergegangen ist, heißt es für uns, uns in die mitgebrachte Unterkunft zurückzuziehen, da es schnell kalt wird.
Ich habe das Schach in Temaco an der Bushaltestelle gekauft. Jeden Tag sammeln Yannick und ich die letzte mentale Energie, um noch eine Runde zu spielen. In den Bergen ist es sicher ein besserer Begleiter als die Frisbeescheibe, die ich vorher mehrere tausend Kilometer mit mir herumgeschleppt habe.
So schön die Landschaft auf dem GPT ist, so überraschend kann sie hinter jeder Ecke sein. Im Gegensatz zu anderen offiziellen Trails muss man auf dem GPT mit klarem Kopf abwägen, welchen Weg man einschlägt und bei Gefahr auch mal umkehren, wenn ein Pass unpassierbar ist. In diesem Jahr ist sehr spät Schnee gefallen, der uns jetzt immer wieder in die Quere kommt.
Da Chile auf der Südhalbkugel liegt, sind die Jahreszeiten im Gegensatz zu Europa vertauscht. Weihnachten wird hier im Sommer gefeiert.
Beim Versuch, einen der angeschwollenen Bergbäche trockenen Fußes von Stein zu Stein zu überqueren, rutschte ich aus und versank einmal komplett mit meiner gesamten Ausrüstung. Einer meiner Wanderstöcke wollte mit der Strömung davon schwimmen. Mit einer blitzschnellen Reaktion konnte ich seine Flucht stoppen und mich ans andere Ufer retten. Meine Kleidung war völlig durchnässt, aber der Rucksack hatte noch keine Zeit, sich vollzusaugen.
Statt dem Flusslauf zu folgen, wählten Yannick und Norwenn einen anderen Umweg als ich. Sie gingen rechts den Hang hinauf und ich links. Meine Route erwies sich zumindest nicht als Einbahnstraße. Sie mussten umkehren und dann das Flussbett hinauf. Während ich wartete, konnten alle meine Sachen in Ruhe trocknen. Auf der 12. Etappe gab es die Möglichkeit, einen Pass, der laut Satellitenbild noch sehr schneebedeckt war, auf einer Alternativroute zu umgehen. Bei Etappe 11 gab es diese Alternative nicht. Nolwenn und Yannick waren sich nach einigen Fehlentscheidungen an diesem Tag ihrer Fähigkeiten nicht mehr so sicher und entschieden sich für den Rückzug.
Ich habe es versucht und bin mit viel Mühe auf dem Sattel angekommen. Mein Blick war die ganze Zeit auf die weißen Massen über mir gerichtet. Die Felsmassive über mir waren mein Fluchtpunkt, unter den ich mich immer wieder geflüchtet habe. Ob es wirklich gefährlich hätte werden können, kann mir im Nachhinein sicher niemand sagen, ich bin nur froh, oben angekommen zu sein.
Wo der Schnee nicht liegen bleibt, lässt er Flüsse und Seen anschwellen und wird zum Hindernis, das nicht nur für nasse Füße sorgt. Wir sind immer darauf gefasst, an einer Stelle umkehren zu müssen, weil es keine vernünftige Umgehung gibt. Brücken sind hier in Patagonien eine Seltenheit. Die meisten Wege werden nur von den Arrieros (Viehtreibern) mit ihren Pferden und Rindern benutzt. Furten, flache Stellen im Fluss, sind daher die übliche Überquerungsmethode.
Nach dem Pass ging es gemächlich hinunter ins Tal. Die Affenschwanztannen verwandelten sich mehr und mehr in Laubbäume mir unbekannter Art. Die Kühe wurden hier im wärmeren Tal immer zahlreicher. Einige beobachteten mich nur, andere ließen sich vor mir hertreiben, bis es ihnen in ihrer Eile zu blöd wurde und sie auswichen. Manchmal schauen sie einen mit ihren langen Gesichtern an, bis man fast vor ihnen steht, um dann festzustellen, dass ihre Standardreaktion doch die Flucht ist. Dann sieht man in ihren Gesichtern, wie sie plötzlich merken, dass sie doch besser weglaufen sollten.
In Guallali, dem Zielort der Etappe 11, angekommen, versuchte ich herauszufinden, wo ich eine Unterkunft und Verpflegung finden könnte. Romina, die mir von den Carabineri empfohlen wurde, empfing mich mit offenen Armen. Da ich mich bei meinem Sturz ins Wasser leicht am Bein verletzt hatte, wurde ich für zwei Nächte bei ihr untergebracht und köstlich bekocht. Wer hier im Hinterland von Los Angeles vorbeikommt, sollte unbedingt einen Abstecher zu ihr machen. Während ich auf die anderen beiden wartete, habe ich noch ein paar Einkäufe im Nachbardorf erledigt, Trampen hin, Trampen zurück, und die Seele ein wenig baumeln lassen. Bereit für die nächsten beiden Etappen.
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