GPT Etappe 10 und 9 – Die Kondore kreisen
Nach dem gemeinsamen Frühstück mit meinen beiden Wanderpartnern und einigen Einkäufen für die nächsten zwei Etappen ging es weiter in Richtung Santiago. Unser erstes Ziel war ein Lagoone, wo wir den ganzen Nachmittag verbrachten. Jeder hing ein wenig seinen Gedanken nach, schrieb, zeichnete oder meditierte einfach. Der Strand vor dem kristallklaren Wasser war eine Quelle der Inspiration, an der wir unsere Mittagspause gerne etwas ausdehnten, bevor wir uns auf dem angrenzenden Plateau einen Schlafplatz suchten.
Dann, wenn die Sonne nicht mehr ganz so heiß auf unsere Köpfe brennt und der Aufstieg im Schatten der Laubbäume leichter fällt. Etappe 10 und Etappe 9 haben gemeinsam, dass sie mit 50 bzw. 60 Kilometern recht kurz sind und sich durch einen Anstieg auszeichnen, ansonsten aber allmählich flacher werden. Eine kurze Anstrengung, bevor man sich einfach treiben lassen kann.
Wenn es so einfach und doch so schön um uns herum ist, dann befreit uns das von einer großen mentalen Anstrengung. Mit Kopfhörern im Ohr traben wir vor uns hin. Yannick hört seine Lieblingsmusik, Nolwenn versucht sich an ein paar neuen Potcasts und ich pfeife mir im Eiltempo das Hörbuch rein, auf das ich schon so lange gewartet habe. Das achte Buch der Sebastian Bergmann-Reihe ist allen Schwedenkrimifans wärmstens zu empfehlen.
Seit dem Sturz ins Wasser auf der 11. Etappe macht mir meine Wade jeden Tag etwas mehr Probleme, es fühlt sich an, als hätte ich gerade einen Krampf bekommen, der nicht nachlassen will. Ich scheine in eine Schonhaltung zu verfallen, die nun auch auf andere Teile des Beines ausstrahlt. Beim Aufstieg zum letzten Sattel legen wir eine Pause ein, um meinem Bein etwas Ruhe und eine Massage zu gönnen.
Wir verbinden die Pause mit einem Mittagessen aus Broten, die mir meine Gastgeberin in Giullali mit auf den Weg gegeben hat, und lassen die Seele in der Sonne baumeln, als Yannick mich auf den Himmel aufmerksam macht. Immer mehr Kondore kreisen über uns. Große Tiere mit einer Flügelspannweite von mindestens eineinhalb Metern.
Obwohl wir wissen, dass die Vögel auf der Suche nach Aas sind, können wir uns des Eindrucks nicht erwehren, dass sie nur darauf warten, dass wir ihre Beute werden. Immer wieder fliegen sie nur wenige Meter über unsere Köpfe hinweg. Mit einem mulmigen Gefühl beginnen wir zu packen. Yannick baut uns aus ein paar gefällten Bäumen, auf denen er kurz zuvor noch ein Nickerchen gemacht hat, eine provisorische Brücke über den Fluss und schon geht es los, weiter flussaufwärts, dem Pass entgegen.
Plötzlich bleibe ich stehen und staune über die vielen Kondore. Es sind bestimmt 20 bis 30 vor mir. Als sie mich erblicken, fliegt einer nach dem anderen in die Luft und den Hang hinauf. Ich fordere die anderen auf, stehen zu bleiben, um zu sehen, was los ist. Ein paar Meter weiter merken wir plötzlich, dass wir gar nicht im Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit stehen. Vielmehr haben wir die Kondore bei ihrem Mittagessen gestört, ein Pferd, das nur noch an seinen Knochenresten zu erkennen war.
Region Beta Paradox
In einem meiner Potcasts bin ich auf das Konzept des Region Beta Paradox gestoßen. Es besagt, dass wir zum Beispiel mit dem Status Quo zufrieden sind, weil es uns gerade gut oder nicht schlecht genug geht. Wir würden eher etwas an unserer Situation ändern, wenn sie schlechter wäre, und bleiben so in der gerade noch akzeptablen Situation stecken. Ich sehe, wie das bei mir war, als ich meinen Job nicht früher gekündigt habe, der immer ganz gut war, aber nicht wirklich befriedigend. Ich habe gut verdient, musste mich nicht übermäßig anstrengen, um gute Bewertungen zu erhalten, die Kollegen waren nett. Aber was fehlte, war eine echte Herausforderung und genügend Abwechslung, um mein Generalistenhirn zufrieden zu stellen. Ich war gefangen im “gerade gut genug”.
Der Vulkan in der Ferne
Die nächsten 30 Kilometer nach dem Pass ging es fast schnurgerade auf den Vulkan Antuco zu. Zwischen uns dreien sind bestimmt hunderte von Fotos entstanden, die den imposanten Berg als Hauptmotiv im Hintergrund haben. Hunderte von Fotos, die bis auf kleine Unterschiede eigentlich alle gleich sind. Was mir bei der Landschaftsfotografie immer wieder auffällt, ist, wie schwierig es ist, ein gutes Foto zu machen.
Wenn jemand ein paar Tipps für mich hat, würde ich mich sehr darüber freuen. Ich habe mir schon ein paar Videos über Bildkomposition angeschaut, aber die Landschaft scheint mir immer noch nicht so richtig einzufangen zu gelingen. Was für das Auge wie ein Berg in der Ferne aussieht, verliert sich auf den Fotos völlig. Wenn ich näher heranzoome, lässt der Dunst in der Ferne die Bilder verwaschen erscheinen.
In Antuco angekommen, gönnen wir uns ein paar Tage Pause, um unsere Beine zu heilen und unsere Vorräte aufzufüllen. Wir mieten uns in einer Hütte ein, wo wir die Möglichkeit haben, unsere Beine hochzulegen, unsere sozialen Bedürfnisse zu befriedigen und abwechselnd lecker zu kochen. Am ersten Tag waren wir in Los Angeles einkaufen, was den ganzen Tag gedauert hat. Am Ende fühlte ich mich erschöpfter als nach einem langen Tag in der Wildnis. Ich freue mich zwar immer, in eine Stadt zu kommen, weil es dort potenziell guten Kaffee gibt, aber ich sehne mich auch schnell wieder nach dem ungestörten Landleben.
No Comments